Kino im Fernsehen: WDR

Nicht nur Filme zeigen

Ein Gespräch mit Wilfried Reichart über die WDR-Filmredaktion

Wilfried Reichart war über drei Jahrzehnte Mitglied der WDR-Filmredaktion, von 1980 bis 2004 leitete er sie. Am 26. März 2008 trafen sich Michael Baute und Stefan Pethke mit Reichart, in einem Fußgängerzonen-Café im Schatten des Vier-Scheiben-Hauses (VSH), wie der große Neubau des WDR genannt wird, der das Kölner Innenstadt-Bild stärker dominiert als der Dom.

Wie sind Sie zum Fernsehen gekommen?

[1]1904-1967; Surrealist, Kommunist; Autor der »Histoire générale du cinéma`:person: von 1940, einer der enzyklopädischen Arbeiten zum Weltkino, mit frühen Ansätzen zur präzisen Archivrecherche und zu standardisierten Erfassungskriterien (s. auch: wikipedia.fr, Stand: 12.11.2008).
[2]1911-2008; französischer Filmkritiker und -wissenschaftler; ehemaliger Französischlehrer am Pariser Lycée Voltaire, wo u.a. die Filmregisseure Alain Corneau und Claude Miller sowie der berühmte Filmkritiker Serge Daney seine Schüler waren (s. auch: wikipedia.fr, Stand: 11.11.2008).

Ich habe angefangen, französische Literatur zu studieren, war in Paris an der Sorbonne, bin dort aber mehr ins Kino gegangen als in die Uni, oder habe Gastvorlesungen an der IDHEC, der damaligen Pariser Filmschule, gehört, wo Leute wie Georges Sadoul [1] und Henri Agel [2] gelesen haben. Von dort bin ich zum Fernsehen gegangen mit dem Gedanken: Das Fernsehen ist wie ein Katalog; es zeigt alle diese Filme und sagt: Die gibt es. Danach können sie wieder im Kino gezeigt werden. Wir haben dann alle allmählich gemerkt, dass die natürlich nicht im Kino gezeigt werden. Weil: Filme im Fernsehen, das ist natürlich ein Widerspruch, das ist nicht das Medium für den Film. Aber da es nichts anderes gab und da das Kino diese Lücke nicht füllen konnte, hat das Fernsehen sie gefüllt, und da hat das Fernsehen unglaubliche Sachen hergestellt. Die Fernsehleute haben sozusagen die Filmbildung ins Nachkriegsdeutschland gebracht. Und dazu gehörte eben auch der Gedanke: Nicht nur Filme zeigen, sondern auch informieren über Filme und Sendungen herstellen, die mit den Filmen zu tun haben. Und so haben wir das immer verbunden: Retrospektiven machen und dazu Sendungen produzieren.

Sind Sie direkt zum WDR gekommen?

Ich war vorher Journalist und bin nach Köln gekommen als Feuilleton- und Filmredakteur des »Kölner Stadtanzeiger«. Ich habe da über das neue Kino geschrieben, über die Nouvelle Vague und das Underground-Kino und so weiter. So etwas Ähnliches haben die bei der WDR-Filmredaktion auch gemacht, zuerst mit Reinold E. Thiel, dann mit Georg Alexander. So hat man sich gekannt. Alexander habe ich dann näher kennengelernt, als wir einen gewaltigen Konflikt hatten: Er hatte »Birth of a nation« von Griffith ausgestrahlt, in dieser grauenhaften Musikfassung, die es gibt. Darüber habe ich geschrieben und da war er empört: »Du Dummkopf, wie kannst du sowas schreiben? Wir zeigen Griffith und du kritisierst uns auch noch!« Wir haben daraufhin eine Diskussion im Fernsehen geführt, darüber, was man darf und nicht darf und was man soll und was man muss. Und dann hat er mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, in die Filmredaktion zu kommen. Das war so schätzungsweise 1970.

Wir sprachen auch mit Alexander darüber, wie er nach Köln kam. Er wurde von Thiel geholt, weil auch er einen Artikel geschrieben hatte.

So ist es! Man hat natürlich auch Gemeinsamkeiten gesucht. Es gab ja damals viel stärkere Fronten zwischen den verschiedenen Schulen als heute. Da ging es um die politische Haltung und um die ästhetische Haltung, die dann auch in der Zeitschrift »Filmkritik« diskutiert wurde. Da hat man ja die einen verachtet und die anderen geliebt.

Sie waren sozusagen eher auf der Seite der ästhetischen Linken?

So ist es, ja!

Und Alexander kommt eigentlich aus der politischen Linken?

Der war politischer – und das hat gut zusammen gepasst. So haben wir zum Beispiel gemeinsam Godard interviewt, so um 1973.

Wie hat sich so etwas wie eine redaktionelle Struktur gebildet? Wie steht das im Zusammenhang mit den Filmeinkäufen?

[3]1913-1997; Journalist mit NSDAP-Vergangenheit; zwischen 1952 und 1987 insgesamt 1874 Mal Moderator des Internationalen Frühschoppens; Mitbegründer des Regionalprogramms des WDR, Leiter des Dritten Programms des WDR ab 1964, Fernsehdirektor des WDR von 1972 bis 1977 (s. auch: wikipedia.de, Stand: 12.11.2008).

Das Fernsehen ist ja streng hierarchisch organisiert. Der Leiter der Filmredaktion hat das Recht zu entscheiden. Das wäre aber sehr schwierig, wenn einer immer nur so entscheiden würde, wie er will und alles andere ablehnen würde. Viel interessanter ist, dass man den anderen akzeptiert und auch Dinge, die man vielleicht selber nicht so gut findet, aber die ein anderer gut findet. So kommt ein spannendes Programm zustande. Das war der große Vorteil des WDR, das ging bis zum Direktor. Zum Beispiel der Werner Höfer [3]. Als Alexander und ich eine große Reihe zum New American Cinema gemacht haben – das war das erste, was ich gemacht habe, als ich zum WDR kam –, haben wir auch alle Leute des New American Cinema interviewt und dazu Sendungen gemacht. Wir haben das auch moderiert, haben diese Filme im Fernsehen vorgestellt. Da liefen Filme, die fand Höfer grauenhaft. Ihm war unverständlich, wie man sowas zeigen kann. Auf der anderen Seite sagte er aber: Wenn ich da Fachleute sitzen habe, dann müssen die schon wissen, was sie tun. Wir hatten noch eine Spielwiese, wo wir uns tummeln konnten und wir hatten Leute, die das akzeptiert haben. Und das war eine gute Voraussetzung, um ein tolles Programm zu machen.

Die Liste der Produktionen, für die Sie als Redakteur oder als Autor verantwortlich sind, bestimmt sich durch zwei Kontinuitäten: durch einen starken Frankreich-Schwerpunkt und auch sehr stark durch den New American Cinema-Schwerpunkt.

So hat jeder seine Interessen gehabt und mich hat immer das neue Kino interessiert. Werner Dütsch war einer, der kam aus der Kinemathek-Szene in Berlin, der hatte eine viel stärkere Verwurzelung in der Filmgeschichte: seine Arbeit über Fritz Lang zum Beispiel. Und Alexander war in der Tat stärker politisch. Und so haben wir uns natürlich oft gefetzt. Straub zum Beispiel war so ein Thema, wo Alexander den Dütsch gefragt hat: »Erkläre mir doch endlich mal, was an Straub so gut ist!« Oder Godard. Das Prinzip war eben, dass jeder das darf, was er überzeugend vermitteln kann. Das war die Form der Kommunikation und der Arbeit. Natürlich haben wir uns auch kritisiert: »Wie konntest du um Himmels Willen so einen Film kaufen?« Das ist immer wieder vorgekommen. Wobei dieser Film dann ein paar Jahre später plötzlich unglaublich toll war…

Haben Sie einen Jahresplan aufgestellt?

Wir hatten einen Etat für das ganze Jahr und wussten, wieviel wir kaufen können. Und dann haben wir viele Festivals besucht und haben dort die neuen Filme eingekauft: Einer oder zwei sind nach Cannes, einer ist nach Venedig und dann ist eben mal einer nach Montreal oder San Sebastian und so weiter. So haben wir uns über die neuesten Produktionen informiert. Und wir haben natürlich zusammen den größten Teil der internationalen Filmzeitschriften gelesen, haben Listen gemacht und dann Besichtigungen organisiert. Wir sind dazu auch oft in andere Länder gefahren und haben dort die Filme angeguckt, die wir auf den Listen hatten. In Europa überall und dann eben auch in Asien und Amerika. Wir haben zum Beispiel mit Leuten zusammen gearbeitet wie Klaus Hellwig. Hellwig hat eine Firma gehabt, »Janus Film«, wo er mit Filmen gehandelt hat. Hellwig kommt von der Filmkritik, er hat in der »Filmkritik« geschrieben und auch in der "Frankfurter Rundschau". Das heißt, der verstand auch was von Filmen. Meist ist es so, dass die Filmhändler nicht so viel von Filmen verstehen, sondern mehr davon, wie man Geschäfte damit macht. Hellwig war eben einer, der sich auskannte, und insofern haben wir gerne mit ihm zusammengearbeitet: Wir haben unsere Listen gehabt und er hat Vorführungen in Amerika, in Schweden oder wo auch immer organisiert. Wir sind dann da hingefahren, hatten einen Vorführraum, saßen da vier, fünf Tage, haben unendlich viele Filme geguckt und dann eine Auswahl getroffen. Bestimmte Leute haben wir ja regelrecht kultiviert: Godard, Rivette und so weiter, wo wir dann eben immer da waren, wenn es neue Filme gab. Oder Eustache. Wir haben auch viele Folgen von »Cinéastes de notre temps« gekauft. Schon als ich noch beim "Kölner Stadtanzeiger" gearbeitet habe, habe ich Sendungen für den WDR gemacht mit Materialien von »Cinéastes de notre temps«. Ich habe eine Sendung über John Ford gemacht, eine über Buñuel und so weiter. Der WDR hatte die Rechte an »Cinéastes de notre temps« gekauft, aber das wurde nicht so ausgestrahlt, wie die Franzosen das gemacht hatten. Das ist bearbeitet worden, und zwar nicht nur übersetzt, sondern neu geschnitten und so weiter.

Haben Sie im Gegenzug Beiträge nach Frankreich verkaufen können?

Nicht so sehr. Merkwürdig, nicht?! Das französische Fernsehen war professioneller als die Deutschen, damals. Die haben ihre Produktionen sofort auf dem internationalen Markt ausgewertet. Das waren die ersten, die damit auf Festivals gegangen sind und darüber informiert haben, dass es das gibt. Die haben internationale Kontakte hergestellt. Das hat das deutsche Fernsehen nicht gemacht bzw. erst sehr viel später.

Was hat man sich von »Cinéastes de notre temps« abgeguckt und wo hat man gesagt: »Das wollen wir lieber anders machen.«?

Also, »Cinéastes de notre temps« mussten wir nicht viel angucken, weil wir wussten: Das können wir auch! Die haben natürlich ganz großartige Sachen gemacht. Rivette hat einen Film über Renoir gemacht. Das ist natürlich ein Hammer! Aber wir haben da keine Minderwertigkeitsgefühle gehabt, sondern wir wussten: Die Sachen, die wir machen, sind mindestens genauso gut, wenn nicht noch besser.

Ein Unterschied zwischen der WDR-Filmredaktion und »Cinéastes de notre temps« ist, dass man für »Cinéastes de notre temps« Filmemacher als Macher dieses Formats – und zwar systematisch – angeheuert hat, während es bei Ihnen ebenso systematisch darum ging, Leute, die nicht vom Selber-Filme-Machen kommen, über das Filmemachen nachdenken zu lassen. War das Ihre Position: sich von einer Gefahr zur Hermetik befreien zu wollen?

Wenn ich einen Film gemacht habe, habe ich mich nicht als ein Filmemacher gefühlt. Ich war immer noch Journalist, Redakteur – das wusste ich. Und deswegen dachten wir wahrscheinlich auch: Filmregisseure müssen nicht Filme über Filme machen, das können auch andere machen. Und wenn Filmemacher das machen, machen sie es anders – Godard zum Beispiel, der ja in jedem Film auch einen Film über das Filmemachen macht. Das ist immer auch gleichzeitig eine Reflexion und das ist ja bei ihm immer extremer geworden. Heute, glaube ich, interessiert ihn nur noch das. Seine »Histoire(s) du cinéma« ist ja wirklich ein ganz großartiges Werk, die einzige Philosophie des Kinos. Es gibt keine andere. Der einzige Philosoph des Kinos ist der Godard, mit diesem Ding. Es ist so schwer zu sehen wie Heidegger zu lesen. Und das ist natürlich nicht die Position des vermittelnden Fernsehens, das ja immer etwas Pädagogisches hat, immer etwas erklären will: Jetzt guckt mal genau hin, was da ist! So sind wundervolle Sachen gemacht worden: Was der Enno Patalas über Lubitsch gemacht hat, das war eine der tollsten Sendungen, die da entstanden sind! Da ist wirklich einer, der erklärt das Kino eines Regisseurs. Und was ist Enno Patalas? Der ist auch Journalist. Und Filmhistoriker. Auf der anderen Seite haben Leute Sendungen gemacht wie Hartmut Bitomsky und Harun Farocki, die Filmemacher sind.

Die Mischung ist auffällig: einerseits das Journalistische, das Aktualitätsbezogene; andererseits die stärker filmhistorisch orientierten Sachen. Uns scheint dieser audiovisuelle Umgang insgesamt – in den kurzen wie in den längeren Formaten – wirklich eine neue Form des Nachdenkens über Kino zu markieren.

Es ist eine neue Form des Nachdenkens und es ist eine ganz klare moralische Haltung gegenüber dem Kino. Wir haben zum Beispiel nie in Einstellungen geschnitten. Das heißt: Wir haben sehr darauf geachtet, dass eine Szene nicht verändert wird. Heute kümmert sich niemand mehr darum. Heute nimmt jemand die Bilder und schmeißt sie zusammen, wie er will. Das wäre damals eine Sünde gewesen. Es war eine wichtige Prämisse für uns, dem Material mit großer Achtung zu begegnen. Und das ist ja schwer, wenn man einen Film macht und Filmausschnitte benutzt: Wie benutzt man die? Wie lang sind die? Wo schneidet man? Das waren alles Fragen, die wir uns gestellt haben. Wir wollten immer sehr verantwortungsbewusst gegenüber dem Werk sein, mit dem wir uns beschäftigten.

Wie sahen Ihre Dreharbeiten aus?

Damals wurde noch auf Film gedreht, mit einem Kameramann, einem Tonmann und einem Assistenten. Da wurde richtig Licht gesetzt und so weiter, das war immer ein Mordsaufwand! Und ich war in dem Fall der Redakteur und der Autor. Bei einem Dreh Redakteur und Autor in Personalunion zu sein, war eigentlich nicht erlaubt. Also hat man einen Kollegen sozusagen als Ersatz-Redakteur mitgenommen. Später habe ich dann angefangen, anders zu produzieren, zusammen mit einem Freund, der sehr viel für 3sat arbeitet und der früh angefangen hat, die Kamera selber zu machen und auf dem Computer zu schneiden. Theo Roos heißt der. Wir haben mehrere Filme zusammen gemacht, einmal über das Festival in Venedig. Das war eine Produktion, die mir ausgesprochen gut gefallen hat, weil das nur wir beide waren: Wir beide sind durch die Gegend gegangen und haben die Leute angesprochen und dann gleich Interviews gemacht. Die mussten nicht mehr langwierig arrangiert werden, sondern da war die Kamera eben gleich dabei. Und dann haben wir das am Abend auf dem Computer angeguckt und schon angefangen zu schneiden, so dass man sehr schnell fertig war. Das ist eine schöne Form des Produzierens! Das hätten wir gerne fortgesetzt. Und so muss man heute auch produzieren. Heute ist vieles sehr viel einfacher, mit diesen kleinen Digi-Kameras.

Wen hatten Sie noch als freie Mitarbeiter?

Wir haben die ersten Sendungen von Hans-Christoph Blumenberg gemacht, und damals auch Hans Peter Kochenrath. Blumenberg habe ich sozusagen von der Uni zum »Stadtanzeiger« geholt, da war ich noch Feuilletonredakteur. Der hat dann angefangen, Filmkritiken zu schreiben. Michael Klier habe ich in Berlin kennengelernt und der hat dann auch einige Sachen gemacht.

Klier hatte auch mit Andi Engel und Werner Dütsch zu tun. Dütsch war in der Kinemathek. Engel und Klier hatten wohl eine Zeitung zusammen.

[4]Die Zeitschrift, die Engel, Klier u.a. zwischen 1965 und 1967 in West-Berlin herausgaben, hieß »Kino«. »Enthusiasm« hieß eine Zeitung, von der Engel allein 1975 eine Ausgabe und 25 Jahre später eine zweite herausbrachte, jeweils von London aus (s. auch: Johannes Beringer: Andi Engels Kino-Enthusiasmus , in: newfilmkritik, 01.07.2007, Stand: 12.11.2008).

Jaja: »Enthusiasm« [4]!

In Deutschland gab es einerseits das ZDF und andererseits die in der ARD zusammengeschlossenen regionalen Sender. Gab es da andere Formate, von denen man sich unterscheiden wollte?

Sagen wir mal so: Wir wollten cineastischer sein! Das war klar! Und das waren die anderen ein bisschen weniger. Aber die Dritten Programme haben ja zusammen gearbeitet. Die Filme, die wir gekauft haben, haben die anderen auch gespielt und umgekehrt. Aber trotzdem war überall eine einheitliche Einschätzung: Der Bayrische Rundfunk zum Beispiel war eben der Bayerische Rundfunk, der war viel populärer. Die haben weniger Hemmungen gehabt, Filme zu zeigen, die ein bisschen einfacher gestrickt sind und dann auch hohe Einschaltquoten bringen. Der ganze Bayerische Rundfunk ist auch vielmehr angenommen von den Bayern als wir hier. Nordrhein-Westfalen gibt es ja nicht, das ist ja künstlich. In Bayern gibt es eine starke regionale Identität und deshalb eine größere Nähe der Zuschauer zum Sender, deswegen ist dieser Sender eben auch lokaler. Dadurch konnte sich der WDR weltmännischer verhalten. Der WDR lief sozusagen im Anzug rum, die Bayern hatten eine Tracht an. Was uns auch diesen Ruf eingebracht hat, dass wir ein bisschen hochmütig sind oder nicht immer die Mehrheit des Publikums im Blick haben.

Ich habe mal gehört, der WDR wäre die westdeutsche audiovisuelle Außenstelle der »Filmkritik«.

Von der »Filmkritik« kamen einige Leute, auch Helmut Färber zum Beispiel, Frieda Grafe, Enno Patalas, Rainer Gansera und so weiter. Grundsätzlich war es ja so: Der WDR war der reichste Sender. Der hatte am meisten Geld und konnte deswegen am meisten kaufen und produzieren. Insofern war der WDR dominierend in diesen Dingen. Und dann war der Bayerische Rundfunk noch da, aber die haben ein bisschen andere Sachen gemacht, wie gesagt: populärere. Und woanders gab es natürlich auch ähnliche Formate: Da war der Jochen Wolf beim NDR. Die konnten nicht so viel produzieren, mussten sich auf bestimmte Dinge konzentrieren. Wolf hatte bestimmte Vorlieben für bestimmte Regisseure – sagen wir mal: Chris. Marker – und dann hat er eben darüber etwas gemacht. Also: Der WDR hat am meisten produziert. Aber auch der NDR hat produziert, der Bayerische Rundfunk hat produziert, der Saarländische Rundfunk ebenso, weil der Saarländische Rundfunk für diese Südkette federführend war, was den Spielfilm betrifft, unter der Leitung von Dr. Alfons Dlugosch. Und diese Leute haben alle produziert, nicht viel, aber gelegentlich.

Sie fangen 70/71 an. Nachdem Georg Alexander 1980 nach Amerika geht, sind Sie Leiter der Filmredaktion bis 2004. Mit den Jahren als freier Mitarbeiter waren Sie fast 40 Jahre dabei. Gibt es da Phasen, Etappen, Entwicklungen?

Die Redakteure der Filmredaktion haben alle lange zusammen gearbeitet, da war überhaupt keine Fluktuation. Angelika Wittlich war mal kurz in der Redaktion. Aber wenn ich über 30 Jahre dort war, dann waren Georg Alexander, Helmut Merker und Roland Johannes fast genauso lange dort. Insofern ist da keine neue Generation gekommen, sondern wir sind gemeinsam alt geworden und dann gegangen. Insofern kann man nicht von Etappen reden. Das wurde einmal konzeptionell begonnen und ist auf dieser Linie weitergelaufen. Die Filmredaktion hat sich nicht verändert, aber um die Filmredaktion herum hat sich alles verändert. Das ist sozusagen das Tragische. Die Filmredaktion war immer ein Fremdkörper im Fernsehen, was auch mit dem Medium zu tun hat, weil es eben um Film ging und nicht um Fernsehen. Insofern haben wir neben den anderen her Programm gemacht.

Die Filmredaktion hat wenig Sachen gemacht, die zum Neuen Deutschen Film gehörten, zu der Gruppe um Fassbinder, Schlöndorf, Herzog und Wenders.

Es gibt schon einige Produktionen über das deutsche Kino: Wir haben ja den Film produziert, den der Kameramann Michael Ballhaus über Fassbinder gemacht hat. »Film Nr. 8« hieß der. Ich kann mich auch erinnern, dass ich Herzog interviewt habe. Dann gibt es Sendungen über Straub. Aber es gibt natürlich keine Sendung über Käutner. Das deutsche Kino ist nicht sehr gepflegt worden in der Filmredaktion, muss man sagen, aber eben auch wissend, dass das deutsche Kino von der Abteilung Fernsehspiel finanziert worden ist. Deswegen waren alle, der Fassbinder und der Herzog, der Schlöndorf und die Trotta, im Fersehspiel angesiedelt. Uns hat das nicht so interessiert. Wahrscheinlich dachten wir: Die sind einfach noch nicht so gut.

Dann gibt es noch die ganzen Produktionen unter dem Titel »Kino 73«, »Kino 74« usw.

Das sind Magazin-Sendungen. So wie »Film aktuell«, was im Ersten Programm ausgestrahlt worden ist.

Wenn man die konventionellen filmgeschichtlichen Daten nimmt, dann wird Anfang der 1980er der Independent-Film wichtig: Jim Jarmusch und so weiter. Dazu gibt es dann natürlich wieder Sendungen.

Wir hatten ja die Chance, diese Leute sehr früh kennen zu lernen. Jarmusch zum Beispiel: Da gab es in New York jedes Jahr ein Treffen – Independent Feature Film Project hieß das –, das war kein Festival, das war eher eine Trade Show, wo neue Independent-Produktionen gezeigt wurden. Und da war mal »Permanent Vacation« von Jarmusch zu sehen und Jarmusch stand da auch immer dekorativ traurig herum. Da hat man ihn eben kennen gelernt, mit ihm was getrunken, die Filme angeguckt und schließlich habe ich die Rechte von »Permanent Vacation« gekauft. Der lief dann bei uns. Beim zweiten Film ist dann schon das ZDF, das Kleine Fernsehspiel, eingestiegen.

»Stranger than Paradise«

Ja, und so haben wir dann auch die Filme später nicht mehr direkt kaufen können, weil sie zu teuer wurden für uns. Die Preise, die das Dritte Programm bezahlt hat, waren ja sehr viel bescheidener als die Preise, die das Erste Programm gezahlt hat oder das ZDF. Aber das ist auch in Ordnung so. Ich fand das toll, dass man früh da ist, die ersten Filme zeigt, und dann geht das weiter.

Innerhalb des WDR, aber außerhalb der WDR-Filmredaktion, gab es ja noch andere Leute, die sich an der Produktion von Content über Film beteiligt haben. Wir sprachen auch mit Reinhard Wulf, seitdem sieht unser Grob-Organigramm so aus: Auf der einen Seite eine Kultur-Redaktion, auf der anderen eine Redaktion für Dokumentation.

Naja, es gibt verschiedene Sendungen und auch verschiedene Sender. Was Wulf produziert, macht er für 3sat, nicht für den WDR, das ist noch einmal eine Sonderpositition. Und dann gibt es die Kultur-Sendungen, die in ihren Sendungen auch Filmthemen haben. Aber die machen das anders, nicht cineastisch, sondern eher populär. Wir haben dann gesagt: Ok, dann gibt es beides.

Da gab es keine Konkurrenzverhältnisse in Bezug auf Etats oder Themen?

[5]»Pressemitteilung / 10.10.2008, 14.00 Uhr: (…) Leiter der neu geschaffenen Hauptabteilung Zentrale Aufgaben Fernsehen wird Helfried Spitra (50). Dies hat Intendantin Monika Piel heute dem Verwaltungsrat des WDR bekannt gegeben, der einer entsprechenden Vertragsänderung zustimmte. Spitra, Leiter des Programmbereichs Kultur und Wissenschaft und Stellvertreter der Fernsehdirektorin, verantwortet ab 15. Oktober die Abteilungen Programmplanung und -controlling, Regie und Realisation, die Programmwirtschaft, die Herstellungsleitungen Programm, die Stabsstellen Strategie Fernsehen/Online Fernsehen sowie Präsentation und Programmdesign. Darüber hinaus gehören zur Hauptabteilung die Redaktionen des ARD Digitalprogramms EinsFestival und für 3sat.« (s. wdr.de, Stand: 4.11.2008).

Nein, aber ich denke schon, dass das bereits Anzeichen waren dafür, dass das irgendwo anders hingeht; dass das Haus dieses Cineastische nicht will. Das haben wir natürlich schon gemerkt. In Deutschland merkt man das ja auch viel besser, weil in Deutschland das Bewusstsein für Filmkultur nicht so ausgeprägt ist wie zum Beispiel in Frankreich. Ein deutscher Architekt kennt eben Fritz Lang nicht, oder Godard. Aber ein französischer sehr wohl! Und insofern ist da kein Boden, auf dem man arbeiten und etwas entwickeln kann. Beim WDR haben wir schon gemerkt, dass wir eigentlich mehr geduldet sind als geliebt. Ich habe das auch immer thematisiert, wenn ein neuer Hierarch zum WDR kam. Günter Struve zum Beispiel: Als der kam, habe ich gesagt: Ich erkläre Ihnen, was unser Konzept ist, und Sie sagen mir, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Er hat das akzeptiert: »Ja, so können wir Programm machen.«, und das war dann die Basis. Dem Helfried Spitra [5] habe ich dasselbe erzählt und der hat auch gesagt: »Das ist ok.« Nur glaube ich, dass er nicht wirklich fand, dass es ok ist... Aber das muss man eben sehen: Eine Anstalt verändert sich dadurch, dass sie bestimmte Leute an bestimmte hierarchische Positionen lässt. Und heute sitzt da nun eben der Spitra und kein anderer. Spitra interessiert sich mehr für Dokumentationen als für den Spielfilm. Und dabei nicht so sehr für den langen Dokumentarfilm, sondern eher für die größten Naturkatastrophen der Welt in zehn Folgen oder so etwas Ähnliches. Der hat eine ganz andere Haltung. Und dann gibt es einen Intendanten, der von Kultur überhaupt keine Ahnung hat, sich für Kultur überhaupt nicht interessiert, sondern nur für politischen Journalismus. Das ist der Fritz Pleitgen, der eine Katastrophe für den WDR war, finde ich, der wirklich die Kultur gekillt hat und auch das ganze Kulturbewusstsein. Weil er so ein bescheidener, klarer Mann ist, der eine klare politisch-journalistische Haltung einnimmt. Das hat den WDR geprägt. Der WDR, der mal ein großes Ansehen hatte als Sender für die Kultur, hat das alles eingebüßt und heute ist der BR besser.

Wer war der Intendant in den 70ern?

[6]»Gemeinsame Filmeinkaufsorganisation der ARD. Bereits 1928 als Deutsche Gesellschaft für Ton und Film gegründet, war die Degeto von 1954 an zunächst für die Filmbeschaffung des HR zuständig. Seit 1959 sind die Landesrundfunkanstalten der ARD bzw. ihre Werbetöchter Gesellschafter der Firma. Firmensitz ist Frankfurt am Main.« (s. ard.de, Stand: 12.11.2008).

Friedrich-Wilhelm von Sell. Sell hat ja damals diesen MGM-Deal gemacht: Die Überlegung war, dass die Fernsehanstalten immer über Zwischenhändler gekauft haben, besonders über Leo Kirch, und dadurch in eine gewisse Abhängigkeit geraten sind. Da war der Gedanke: Machen wir doch alles selber! Sell war einer von denen, aber hauptsächlich ging das von der »Degeto« [6] aus. Alexander saß zu der Zeit gerade in Los Angeles und hat mitgeholfen, den Deal zustande zu kriegen. Das war Sell. Niemals wäre der auf die Idee gekommen, einem Redakteur irgendwas vorzuschreiben. Das war wirklich getrennt, der Intendant Sell war noch der Repräsentant des Senders, aber nicht der Programmmacher.

Der Bundespräsident, sozusagen.

Richtig. Nach Sell kam Friedrich Nowotny und mit Nowotny und noch extremer mit Pleitgen hat sich alles gewaltig geändert.

Das Machtmittel ist dann Budget kürzen, Sendeplätze verschieben usw.

Genau, das geht ja alles.

Dütsch hat uns erzählt, dass viele der kleinen Formate dadurch entstanden, dass es unheimlich viele Lücken gab.

Ja, natürlich! So entstanden der »Filmtip« und »Film aktuell« am Sonntag Nachmittag, wirklich ein phantastischer Sendeplatz, den ich entdeckt habe: Da liefen Spielfilme am Sonntag Nachmittag und Spielfilme passen nicht in das Schema des Fernsehens, weil sie verschiedene Längen haben. Die hatten ständig ein Problem damit: Wie gehen wir damit um? Da habe ich den Vorschlag gemacht: Machen wir doch eine Sendung, die immer so lang ist, dass die Lücke ausgefüllt wird. So ist dann »Film aktuell« entstanden.Ich glaube, das war ein Sendeplatz von 105 Minuten. Und wenn da ein 85-minütiger Film lief, dann hatte man fast 20 Minuten, um was zu machen.

Es fällt auf, wie heterogen viele Produktionen sind, nicht nur formal, sondern auch von der Länge. Und das ist natürlich in so einer Verslottung viel schwieriger.

Absolut: Danach gab es kaum mehr Sendeplätze für Sendungen. Dann sind auch noch die Etats reduziert worden – aber überall, und zwar als die "Aktuelle Stunde" eingerichtet wurde, unser lokales Fernsehen. Die Überlegung war, dass es diesen Sendeplatz im Vorabend gibt, der attraktiv ist und wo man Einschaltquoten holen kann. Das hat viel Geld gekostet, da musste man den Etat umschichten und andere Akzente setzen. Da haben alle Mittel abgeben müssen. Und das hat ja toll funktioniert, dieser lokale Aspekt!

Sobald die Lücken durch die Slot-Struktur ausgemerzt werden können, besteht ja eigentlich keine Notwendigkeit mehr für das Kino im Fernsehen. Das Fernsehen wird autonomer, selbstbewusster: Wir brauchen keine Spielfilme mehr, wir machen jetzt unsere eigenen Fernsehfilme, die wir auf 89 Minuten genau timen können, jetzt, wo wir inzwischen auch diese Dramaturgie-Standards haben.

Außerdem kann man die Eigenproduktionen viel mehr und besser verwerten! Du produzierst einen »Tatort«, den kannst du dann 85 Mal ausstrahlen. Einen Spielfilm darfst du zweimal ausstrahlen. Insofern rechnet sich das ganz anders. Die »Degeto« hat ja einen Teil ihres Etats für Produktionen abgegeben, der dann bei "Ziegler-Film" gelandet ist, für die ganzen Soaps, die da gemacht worden sind. Das war ursprünglich das Geld des Filmankaufs der »Degeto«. Das ist eine Veränderung, die gewollt ist, warum auch immer. Wie geht man damit um? Man könnte natürlich sehr viel verhindern, aber das ist schwer. Wir haben das auch zu spüren bekommen: Es hat eigentlich in Deutschland keinen Aufschrei gegeben, nachdem die WDR-Filmredaktion eingestellt worden ist. Da haben einige geschrieben, der Dietrich Leder hat im »Film-Dienst« geschrieben, Michael Baute in der Zeitung »Recherche Film und Fernsehen«. Aber das ist dann geschrieben und damit war es sozusagen vorbei.

Es gibt ja jetzt eine Leiterin der Filmredaktion, Andrea Hanke, die vom Fernsehspiel kommt und erstmal keine klassische Cinephile ist.

Hanke ist ok. Sie muss halt erstmal den »Degeto«-Stock verwalten: Die Sendeplätze gibt es nach wie vor, die Filme liegen sowieso da, also muss da jemand sein, der die Filme von der »Degeto« holt und in eine Organisation bringt. Es geht schon weiter, aber es geht eben nicht im Sinne von Kino weiter.

Es wäre interessant, Hanke selbst zu fragen, welche Möglichkeiten sie sieht, die Arbeit der Filmredaktion weiterzuführen. Wobei man sich fragen kann, wieviel Zeit und Energien nach dem Verwalten noch übrig sind. Vielleicht übernehmen heute andere Strukturen jene Aufgaben, für die sich früher eine WDR-Filmredaktion zuständig gefühlt hat: Criterion in Amerika, verschiedene Anbieter in Frankreich, das BFI in England und in Deutschland Kinowelt, zum Beispiel, geben regelmäßig Beiträge in Auftrag. Aber die haben natürlich erheblich weniger Mittel zur Verfügung als eine Filmredaktion im Fernsehen. Das hat nicht den Zusammenhang, den das Fernsehen stiften kann.

Ja, aber es gibt ja jetzt auch etwas anderes, es gibt ja Making-ofs, die bei sehr vielen Filmen sowieso parallel hergestellt werden und die kann man da mitverwerten.

Was hält eigentlich die »Degeto« davon ab, über ihre eigene Produktion nachzudenken und Filmanalysen zu »Degeto«-Filmen in Auftrag zu geben? Da werden Filme vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen hergestellt, also könnte man doch auch sagen: Wir zwacken einen Teil des Etats ab für eine Betrachtung darüber, wie das mit der Organisation der laufenden Bilder funktioniert. Die Beschäftigung des Fernsehspiels mit sich selbst ist noch schwach entwickelt.

Man muss sehen: Die »Degeto« ist eine Gesellschaft, die eigentlich nicht produziert. Die Spielfilme sind erworben und insofern ist das keine Produktionsfirma. Jetzt ist der frühere Direktor des WDR dort Geschäftsführer, Jörn Klammroth. Jetzt produzieren sie auch, aber eben Soaps.

Ein Beispiel: Dominik Grafs »Frau Bu lacht« ist ein »Tatort«, der etliche Preise gewonnen hat. Das ist ein Film, der für sich steht, der auch außerhalb der Serie »Tatort« betrachtet werden kann. Warum interessiert sich das Fernsehen nicht so stark für seine eigenen Hervorbringungen, dass gesagt wird: Da lassen wir jetzt auch mal einen Filmwissenschaftler ran, der uns in filmischer Form erklärt, warum ihm dieser spezielle Film bedeutsam erscheint?

Spielen wir es doch einmal durch: Der verantwortliche Redakteur für diesen Film hat so eine Idee. Das wäre eine 45-Minuten-Sendung. Was macht der jetzt? Er hat keinen Sendeplatz! Das heißt: Er muss jemanden finden, der einen Sendeplatz für ihn hat. Und zwar im Ersten Programm. Jetzt bringt er das ein in die Programmkonferenz und fragt: Gibt es so etwas? Stellen wir uns vor, wie die Leute da sitzen und sagen: Was will der machen? Eine analytische Sendung über Dominik Graf? »Wer ist denn das?«, fragt ein politischer Redakteur. Dann sagt ein Kulturredakteur: »Ach, der hat doch diesen interessanten »Tatort« gemacht.« »Ok, schicken Sie mir eine DVD, dann gucke ich mir das mal an.« So in etwa würde sich das abspielen. Wenn man Glück hat, wird es vielleicht möglich sein, aber die Wahrscheinlicheit, dass es nicht klappt, ist größer.

Es bleibt augenfällig, dass das Fernsehen in dem ganz allgemeinen Sinn Müll produziert, insofern es heute etwas herstellt, wofür es sich morgen nicht mehr interessiert. Das ist nicht nur schade, sondern auch dumm: Die Beschäftigung mit sich selbst ist ja fruchtbar, weil sie Feedback-Effekte bringt, weil man etwas lernt, auch aus Fehlern, weil man lernt, gute Dinge zu systematisieren usw. usf.

Die Frage ist ja auch: Ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht geradezu verpflichtet, so etwas zu tun? Die öffentlichen Gelder sind nicht dazu da, um ausschließlich Programme für Mehrheiten zu machen, sondern auch, um Programme für Minderheiten zu machen. Meine Argumentation war immer: Lasst uns beides machen. Lasst uns so populär sein, wie wir können, und so esoterisch wie wir wollen. Und diese Mischung macht die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus. Lasst uns zum Beispiel samstags um 20 Uhr15 oder mittwochs um 20 Uhr 15 Uhr einen Film von Rivette zeigen, ohne darüber reden, dass es mehr Einschaltquote geben würde, wenn wir dort etwas anderes zeigen. Dann haben wir etwas getan, was eine Qualität hat. Aber das ist absurd. Wenn du so redest, wirst du nur mitleidig angeguckt. Und insofern befindet sich das Öfffentlich-Rechtliche in einem Widerspruch: Es bekommt öffentliche Gelder und produziert wie die Privaten. Früher oder später wird das nicht mehr gehen. Früher oder später wird einer sagen: Es reicht doch ein Öffentlich-Rechtliches. Dann muss man sich fragen: ARD oder ZDF? Man kannn dann vielleicht noch sagen: Ok, nationwide ZDF, regional ARD – that`s it. Es steht ja auch immer weniger Geld zur Verfügung. Wenn man trotzdem mal über ein Fernsehen, das ein bisschen anders funktioniert, spekulieren wollte: Was den Spielfilm betrifft, könnte man ein internationales Programm machen, das nicht viel kostet, mit den interessantesten Filmen aus Asien, Lateinamerika, Nordamerika, Europa. Das könnte ein phantastisches Programm sein!

Ein Festival-Sender, quasi.

Nun muss man aber auch fragen, ob das dann die Öffentlich-Rechtlichen machen, ober ob es reicht, wenn es 3sat und arte gibt und dort alles stattfindet.

Hat die Installation von 3sat und arte eine Bedeutung gehabt für die Produktion des Essayistisch-Kritischen?

Nein, überhaupt nicht. Wenn man eine Sendung macht, muss man die Ausschnittrechte klären und dann werden die deutschen Rechte geklärt. Wenn das auf arte gezeigt wird, dann müssen auch die französischen Rechte geklärt sein. Das kostet schon wieder mehr, das kann man sich dann wieder nicht leisten. Da gibt es also rechtliche Probleme. Bei 3sat ist das ja auch ein bisschen so, mit der Schweiz und Österreich.

In den 70er-Jahren gab es ein anderes Problembewusstsein zur Rechtefrage, da wurde gesagt: Wir senden das einfach.

Am Anfang konnte man die Rechte kaufen, und zwar für einen akzeptablen Preis. Bis Kirch irgendwann mal gesagt hat: Ich mache das nicht mehr mit. Da hat der Preise verlangt, die man nicht mehr bezahlen konnte. Dann haben wir uns aber überlegt, dass es ja ein Copyright gibt und ein Grundsatzurteil, das die Literatur betrifft. In der Literatur kann man zitieren. Da haben wir gesagt: Das kann man mit dem Film genauso. Es kam zu einem Prozess: Kirch ist vor Gericht gegangen – und hat verloren. Jetzt gibt es ein Gerichtsurteil, das besagt: Um eine These zu belegen, darf man einen Filmausschnitt verwenden, und zwar so lange, wie es nötig ist. Darauf haben wir uns oft berufen und das unserem Justitiar zur Prüfung gegeben. Der hat so etwas mit zitternden Händen angeguckt und eher nein gesagt als ja. Aber oft auch ja! Das fing so vor 10 Jahren an und da haben wir dann wild entschlossen Filme gemacht, wo wir nichts für die Rechte bezahlt haben. Wir haben dann immer gesagt: Wir beziehen uns auf das Zitatrecht. Da konnte man theoretisch, wenn man beispielsweise einen Film über Bresson macht und die Länge seiner Einstellungen, eine Einstellung von acht Minuten zeigen. Aber man muss genau untersuchen, dass es sozusagen wissenschaftlich ist.

Die Rechtesituation und diese Interpretation des Zitatrechts schreien doch geradezu nach dem Essayfilm. Die Minimalisten, die sagen: Das Material sollte so stark wie möglich aus sich selbst heraus sprechen, man sollte am besten gar keinen Off-Kommentar haben und so wenig wie möglich thesenhaft arbeiten, damit die Zuschauer selber zu einer Meinung kommen, so eine Position ist bei derzeitiger Rechtslage im Grunde chancenlos. Die können sich ihren eigenen Standpunkt gar nicht leisten.

Absolut. Und die grundsätzliche Frage dabei lautet: Was passiert mit dem Kino? Kann es überleben? Es sieht ja so aus, als ob es nicht überleben könnte, als ob die Zeit des Kinos vorbei ist, jetzt, weil es neue Formen der Rezeption gibt, mit der DVD und so weiter: Die Leute bauen zu Hause ihre Beamer auf und gucken Filme so an. Wenn jetzt das Bewusstsein von Kino verschwindet, dann ist das natürlich auch die Zeit, wo man ein besonderes Augenmerk auf dieses Kino- und Filmbewusstsein lenkt. In der Zeit seines Verschwindens ist der Gedanke an das Kino umso intensiver. Und das ist genau das, was Ihr jetzt tut. Das ist eine völlig andere Situation als zu der Zeit, in der wir angefangen haben. Das war ja sozusagen die zweite Goldene Zeit des Kinos! Wir sind diese jungen Redakteure, die Ende der 60er/Anfang der 70er zusammengefunden haben. Uns stand die Welt offen, wir konnten wirklich alles holen, wofür wir uns interessiert haben. Die Privaten gab es noch nicht, die Einschaltquoten spielten keine Rolle, und da saßen wir und haben uns ständig Programme ausgedacht. Und alles, was wir uns ausgedacht haben, konnten wir realisieren. Wir konnten sozusagen aus dem Fundus unseres Wissens die Filmgeschichte plündern, wie wir wollten, von der großen Filmkunst bis zur großen Popularität des Kinos. Das zusammen zu bringen, das ist unglaublich spannend: nicht nur Griffith und Murnau zeigen, sondern auch Jack Arnold oder die Marx Brothers und solche Sachen. Das war alles möglich, auch, weil es bezahlbar war.

Was hat sich verändert?

Die Rechte sind immer teurer geworden, weil der Markt sehr viel größer geworden ist. Die Rechte werden auch anders veräußert: Die werden jetzt in großen Paketen gekauft, in großen Deals. Wir haben einzelne Filme gekauft oder auch mal 10 Marx Brothers-Filme – wie wir es wollten, das war einfach absolut offen. Es ist aber auch ein Bewusstsein für Kino verloren gegangen. Das interessiert niemanden mehr. Deswegen gibt es auch die Filmredaktion quasi nicht mehr, seitdem Dütsch und ich gegangen sind, und jetzt vor kurzem als Letzter der Merker. Die Kultur des Kinos interessiert das Fernsehen nicht. Und wir sind immer in einem Konfklikt mit dem Fernsehspiel gewesen und der war so tief, wie wir uns das gar nicht vorstellen konnten: Wir waren sozusagen die Weltbürger des Kinos und die vom Fernsehspiel waren die Provinz. Was so nicht stimmt, die haben gute Sachen gemacht, der Günter Rohrbach, mit Fassbinder und so weiter. Und trotzdem hatten die einen Minderwertigkeitskomplex uns gegenüber: Wir hielten es eben mit den Großen der Welt und die mit denen vor der Haustür. Diese Situation hat sich völlig gedreht. Die Kultur des Kinos ist dem Fernsehen nicht mehr bewusst. Niemand, der beim Fernsehen sitzt und ein Hierarch ist oder ein Hauptabteilungsleiter Kultur oder so etwas, interessiert sich für Kino oder weiß noch, was das ist. Im Gegensatz zu damals, wo wir eine Kinemathek im Fernsehen erfinden konnten. Es gab keine Kinematheken, alles war kaputt. Die Filmgeschichte ist in Deutschland unterbrochen, abgerissen worden und wir konnten alle diese Lücken füllen. Wir kannten die Filme ja zum großen Teil gar nicht! Ich kann mich erinnern, dass wir uns für Filme wie »Scarface« von Howard Hawks interessierten: Wir wussten, dass es den Film gibt, aber keiner hatte ihn gesehen. Und irgendwann mal hat ihn dann einer gesehen, in einer vernudelten Kopie mit dänischen Untertiteln auf irgendeinem kleinen Festival. So musste man sich diese Dinge ganz allmählich suchen. Und das konnten wir bieten. So haben hier die Cineasten und alle, die sich für Kino interessierten, zum ersten Mal diese Filme gesehen: Bogart, Lubitsch, Borzage oder Leute, von denen sie noch nie etwas gehört haben. Nicht in den deutschen Kinematheken, nicht im Kino, sondern im Fernsehen. Heute gibt es ja nicht mal mehr ein Redakteursfernsehen. Es sind ja nicht mehr die Redakteure, die entscheiden, sondern die Politik des Hauses entscheidet.

Genau diesen Strukturwandel versuchen wir uns zu erklären.

[7]Daniela Kloock (Hrsg.): Zukunft Kino. The End of the Reel World, Schüren Verlag (Marburg) 2008, 352 S., ISBN: 978-3-89472-483-2, 49,00 €; mit Beiträgen von: Gundolf S. Freyermuth, Thomas Elsaesser, Peter C. Slansky, Peter Glaser, Norbert Grob, Elisabeth Bronfen, Herbert Schwaab, Siegfried Zielinski, Hinderk M. Emrich/Bert Te Wildt, Georg Seeßlen, Tobias Moorstedt, Karin Wehn, Susanne Weingarten, Klaus Rebensburg, Daniela Kloock, Wolf Siegert, Peter Greenaway, Benedict Neuenfels, Christoph Hochhäusler, Edgar Reitz, Tom Tykwer (s. auch Webseite Schüren Verlag, Stand: 12.11.2008).

Es gibt ja ein aufregendes Buch, das jetzt vor kurzem rausgekommen ist: »Zukunft Kino – The End of the Reel World« [7], das Ende der Rollen-Welt. Da schreiben verschiedene Autoren genau darüber: Wo geht das Kino hin? Und manche haben schon wirklich hochinteressante Informationen und Gedanken. Ein digitales Bild ist eben ein anderes Bild! Auf der anderen Seite kennen wir kaum neue Bilder. Die Filme, die heute hergestellt werden, sehen im Grunde so aus wie zur Stummfilmzeit. Die Sprache des Kinos funktioniert immer noch und die Frage ist: Wo geht das hin? Wird zum Beispiel das Kino mit 360°-Projektion und Sensoround-Sound die andere Form von Kino werden? Noch sind wir nicht so weit!

Im Gegensatz dazu sagt jemand wie Kluge, das Kino könne gar nicht zuende gehen, weil das es eine alte Form ist, die schon 3000 Jahre vor Celluloid erfunden worden ist.

Das sind die großen Sentimentalen, davon träumen die alle! Norbert Grob schreibt auch in diesem Buch, und zwar sozusagen voll am Thema vorbei, weil der das Kino feiert. Die Frage ist aber: Bleibt es? Den Kluge habe ich vor kurzem in Berlin getroffen, der sieht mich da stehen, geht zu mir hin, umarmt mich und sagt: »Wir lieben das Kino!«. »Ja«, sage ich, »das stimmt, aber: Wo geht es hin?«. Das ist der Traum: dass das Kino überleben wird, ein so schöner Ort der Kommunikation im Vergleich zum Beamer im Wohnzimmer. Der ist doch schrecklich, eigentlich. Aber es wird anders.

Mit unserem Projekt beteiligen wir uns auf gewisse Weise an der Musealisierung des Kinos und die Frage ist, wie man das produktiv wenden kann, zu einer Vitalisierung des Kinos. Musealisierung muss nicht Mumifizierung bedeuten.

Wenn das Kino bleibt, dann wird es nicht mehr das populäre Massenmedium sein, sondern es wird Oper sein, es wird Theater sein, es wird noch stärker öffentlich subventioniert werden. Man wird Filme im Museum gucken und da wird es dann interessant sein, all diese Materialien zu haben, die das Kino begleiten. Insofern ist das sehr gut, eine Arbeit wie Ihre zu machen.

Gibt es im Hinblick auf diesen Strukturwandel einerseits und die geringe Fluktuation in der WDR-Filmredaktion andererseits ein nachträgliches Bedauern? In der Musikpresse beispielsweise, in diesem noch viel volatileren Geschäft, bemüht man sich regelmäßig um Redakteursnachwuchs, weil sich im Musikmarkt so rasch Haltungs- und Geschmacksunterschiede ergeben, dass auf der Text produzierenden Seite eine einzelne schreibende Person das gar nicht verarbeiten kann. Gab es bei Ihnen Überlegungen zur Nachwuchsförderung von Filmredakteuren?

Das gab es offenbar nicht.

Ergibt sich daraus eine persönliche Mitschuld an dem Verschwinden der WDR-Filmredaktion, so wie Sie sie lange geleitet haben? Sie haben gemacht, was Sie für richtig gehalten haben, was der Sache auch ein scharfes Profil gegeben hat, aber möglicherweise um den Preis, dass es jetzt nicht weitergeht.

Es hätte schon weitergehen können, das wäre überhaupt kein Problem gewesen. Man findet neue Leute. Natürlich haben wir auch Leute im Kopf gehabt, haben mit denen geredet und sie auch hier hergeholt, um sie den anderen vorzustellen. Aber das war keine Arbeit, die vor 20 Jahren begonnen hat, sondern in den letzten fünf, sechs Jahren, wo die ja auch schon konkret Sachen für uns, für den »Filmtip« usw. gemacht haben. Diese Leute hätten das auch weitermachen wollen, z.B. Anke Leweke oder Daniel Kothenschulte. Nur war der Boden nicht mehr da. Das interessiert das Haus nicht mehr. Da sind jetzt Leute am Ruder, die interessieren sich nicht für das Kino, das ist denen völlig egal. Und das hat gleichzeitig mit dem Kino zu tun, das sich in einer ähnlichen Situation befindet: Das Kino geht zu Ende.

Arbeiten Sie noch als Autor?

Ja, ich schreibe hin und wieder, wenn ich Lust habe, z.B. über Godards Ausstellung im Centre Pompidou oder über Agnès Varda, im »Film-Dienst«. Und im Moment bin ich dabei, eine DVD zu produzieren über Rivettes »Noli me tangere«, also 12,5 Stunden, was sehr schwer zu machen ist. Da ist jetzt Criterion dabei und das Filmmuseum München. Aber das steht erst am Anfang.