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Über Girish Shambus und Kevin B. Lees »Shooting Down Pictures« Video-Essay zu Fritz Langs »The Woman in the Window«

Von Michael Baute

Der Kommentar zu diesem Video-Essay aus der »Shooting Down Pictures«-Reihe, geschrieben und gesprochen von Girish Shambu – der u.a. ein vielbeachtetes und -gelesenes Weblog betreibt – bezieht sich wiederholt auf Tom Gunnings Buch »The Films of Fritz Lang: Allegories of Vision and Modernity« und dessen Idee einer destiny machine, die in Langs Filmen wirksam sei. Diese Idee einer Maschine unterscheide sich durch ihren Materialismus vom klassischen Konzept des »Schicksals«, dem ein Protagonist unterworfen ist. Die Maschine sei die Gesellschaft: »For Gunning, Lang's destiny machine is this vast elaborate system, society itself, organized as a machine; this giant apparatus that reaches into every aspect of human and social life through mechanisms like constant watching and observing and through advancements in science and technology.« Shambus Kommentar arbeitet daran, an Woman in the Window Langs Verfahren der Inszenierungsweise der Wirkungen dieser Maschine zu beschreiben, in dem Film aber auch eine zusätzliche Eigenschaft zu entdecken, die in den Ansichten zu Fritz Lang eher selten erwähnt wird: Humor.

Es gibt einen bemerkenswerten Zug im ersten Teil des Video-Essay, den man zwar aus seiner eigenen Praxis des Filmeguckens kennt, der aber ansonsten selten in filmvermittelnden Filmen zu finden ist. Von Minute 3, Sekunde 12 bis Minute 3, Sekunde 35 zeigt Kevin B.Lee, der den Video-Essay produziert und geschnitten hat, die Bilder des Films in beschleunigter Geschwindigkeit, so wie man es in seinen eigenen vier Wänden bei langweiligen Passagen eines Films macht, den man auf DVD schaut. Lee nutzt dieses Verfahren hier vermutlich einerseits, um die Dauer der Bilder der Dauer des Off-Kommentars anzupassen, aber andererseits auch, um eine kleine Irritation in den Ablauf des Kommentierens einzufügen und um damit Beobachtungen anzukündigen, die Shambu im zweiten Teil des Video-Essays vorstellt.

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Zu sehen ist in den 23 beschleunigten Sekunden ein Mann, der ein Apartement nach Spuren untersucht, zu hören Shambus Kommentar, der von der fast fetischistischen Genauigkeit dieser Spurensuche spricht, deren Komik durch das Schnellablaufen der Bilder komprimiert ist; »until he finds what he's looking for«. Mit dem schließlichen Fund, der wieder in Originalgeschwindigkeit zu sehen ist, endet der erste Teil des Videos.

Im zweiten Teil, von Minute 3, Sekunde 45 bis Minute 5, Sekunde 43, exemplifiziert Shambus Kommentar die durch die Bilderbeschleunigung und Komprimierung vorbereitete These, dass Lang in Woman in the Window einen humoristischen Zug zeige, den man nicht automatisch mit ihm assoziieren würde. »I find this film in its own ironic and grim way to be quite funny.« Belege dafür sind eine Szene mit einem boyscout: sowie »the sly casting of the actress who plays the professor's wife«.

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Auf den ganzen Film ausgreifend spricht Shambu von dessen »inevitability«, die er bewundere, aber zugleich auch »a bit comical« finde. Abschluss findet dieser Mittelteil mit einem Zitat von Andrew Sarris, in dem Renoir mit Lang verglichen wird: »If Renoir is concerned with the plight of his characters, Lang is obsessed with the structure of the trap.« Wie dieses Interesse für die »Falle« in Langs Film inszeniert ist, zeigt der dritte und letzte Teil des Video-Essays, der zwei Dinge hervorhebt.

Emblematisch für Langs Interesse an der Struktur der Falle und der Unausweichlichkeit einer Bestimmung sei erstens ein kurzer Moment in Woman in the Window, den Lee und Shambu zeigen und kommentieren.

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»The professor walks through two door-frames, the bedroom and the bathroom in order to wash the scissors. Not only is the frame a sign of confinement, but the camera is already in the bathroom, which is a sign of inevitability. The camera is ready and awaiting the character to make his way through the doors and the bedroom and into the bathroom. The film is full of little bits of business like this.«

Business like this – zum Abschluss des Videos zeigen Lee und Shambu zweitens eine Montage von Einstellungen des Films, in denen Uhren zu sehen sind, die eine ständig anwesende Erinnerung an die unausweichliche Arbeit der Falle seien.

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Zusätzlich zum hier kurz beschriebenen Video-Essay stellt Lee für jeden seiner Sichtungseinträge eine umfangreiche Sammlung mit Screenshots und Hinweisen auf online verfügbare Texte zusammen. Im Fall von Fritz Langs The Woman in the Window, der am 16. Januar 2007 auf DVD gesichtet wurde, sieht dieser Eintrag so aus.