Internet: Digitale Technologien
Umgang mit Videomaterial in Zeiten der digitalen Produktionsmittel
Als ich Mitte der 90er Jahre nach Berlin zog, erzählten mir Leute von Freunden, die jemanden kannten, in dessen Zimmer eine mythische Regalwand stand mit all den auf VHS-Videos aufgezeichneten Filmen, die wir noch nicht gesehen hatten und unbedingt sehen wollten. Alle fingen dann an, die damals noch einige gute Filme pro Woche hergebenden Fernsehprogramme zu studieren, Videoaufnahmen im VHS-Recorder zu programmieren und die fertigen Kassetten in ihre Regal zu stellen. Eigene kleine Archive, die der langsamen, aber sicheren Degradation preisgegeben waren.
Brauchte man früher die Infrastruktur einer Sendeanstalt für Zugang und Bearbeitung von Bildmaterial – angefangen vom Beschaffen der Kopien bis hin zum Personal im Schneideraum – war das ab den 1980er Jahren mit Videokassetten, Regalmeter-füllenden Privatarchiven und Zwei-Maschinenschnittplätzen schon weitaus billiger zu bewerkstelligen. Auch Tag Gallagher hat anfänglich noch so seine unglaublich schönen und klugen Arbeiten zusammengesetzt.
Seitdem haben die Effekte der digitalen Technologien uns, ziemlich faktisch, das Bildmaterial enorm vieler Filme – der Mainstream-Filmgeschichte allzumal – auf unseren auf dem Schreibtisch stehenden Bildschirm gebracht. Und gleichzeitig auch das ganze Arsenal an Werkzeugen zu ihrer Bearbeitung. Das Verhältnis, in das uns die digitalen Technologien und Distributionsformen gegenüber den zugänglichen Filmen der Filmgeschichte setzen, ist dem des filmvermittelnden Filmemachersubjekts gegenüber seinen Objekten potentiell sehr ähnlich geworden.
Heute, 2009, mit Computern und den Videoportalen und Netzwerken im Internet, birgt die Situation, in der wir uns einen Film auf dem Monitor ansehen, schon immer eine Bearbeitungspotentialität: Das Abspielprogramm, mit dem wir die Filme anschauen, ist gleichzeitig schon ein Schnittprogramm. Seien es die Lesezeichen, die im DVD-Player gesetzt werden können; sei es der QuickTime-Player, mit dem nicht nur so beliebig und schnell an jede Position im Film gespult werden kann, dass man schon lange nicht mehr von »Spulen« spricht sondern von »nicht-linearem Videoschnitt«; sei es der VideoLAN Player, mit dem jeder eingehende und angezeigte Videodatenstrom in fast jeden anderen umgewandelt, gemischt und zerteilt werden kann.
Zugleich sind auch die Möglichkeiten der Publikation von audiovisuellem Material einfacher geworden. So ist das Setzen eines Videoplayers, der einen bestimmten Ausschnitt eines Films zeigt, innerhalb eines Blogtextes zum Thema inzwischen eine technische Kleinigkeit. Auch die Kommentar- und Playlistfunktion der Videoportale bieten die Möglichkeiten, ohne Aufwand einen Text um ein oder viele Videos herum schreiben zu können. Was unterscheidet diese Formen des Umgangs mit bewegten Bildern von filmvermittelnden Filmen, außer der Tatsache, dass diese neuen Formen nicht institutionell sanktioniert, verknappt und pädagogisch wertvoll sind? Weshalb werdn die technischen Potentiale von Beschaffung, Bearbeitung und Publikation kaum für das Erstellen und Herausbringen filmvermittelnder Filme genutzt?
Im Internet sind bisher sehr wenig filmvermittelnde Filme zu finden; wenige Kopien der vor seiner Zeit produzierten und auch kaum neue. Was erstaunlich ist. Denn die digitalen Technologien und das Internet haben ein Subjektivierungspotential gegenüber der Filmgeschichte ermöglich, das bisher ausschließlich den Autorinnen und Autoren der Filme vorbehalten war, die wir in unserem Projekt »Kunst der Vermittlung« zusammengestellt haben. Dass dieses Subjektivierungspotential sich bisher äußerst selten anhand der neuen technischen Möglichkeiten objektiviert, hat mit dem Verhältnis zu tun, in das man sich zu einem Film setzen muss, dessen Material so vor einem liegt, dass man ihn komplett umschneiden könnte. Wie wird man vom Konsument zum Produzent, vom Rezipient eines Films zum Autor eines filmvermittelnden Films?
Ein »Filmvermittelnder Film« ist nicht nur jene plumpe Fernsehsendung, die meint, etwas über Film und Filme in einer Form mitzuteilen zu haben, die selbst ihr Werbeumfeld beleidigt, sondern ein eigenes Werk, dass aus einer Reihe von besonderen Fragestellungen, Herangehensweisen und Verhältnissen gegenüber seinem besonderen Material – den schon vorliegenden Filmen – geprägt ist: Was ist die Footage, wie ist sie zugänglich, was sind die Einheiten der Analyse, was stelle ich aus, wie führe ich es vor, wie kombiniere ich welche Ausschnitte, wie kommentiere ich? Was sind die ästhetische Merkmale, die gehandelten Elemente, die Produktionsbedingungen filmvermittelnder Filme?
Im filmvermittelnden Film wird das Besondere am filmischen Objekt ausgestellt. Das geschieht durch Verfahren der Rekombination des Materials und der Angliederung von zusätzlichem. Die Footage, die von außerhalb des filmvermittelnden Films kommt und die gleichzeitig Material und Objekt ist, ist zunächst nichts mehr als eine Oberfläche. Oft wird sie bearbeitet: vergrößert, bemalt, übereinanderkopiert. In der Analyse wird das vermittelte Objekt auseinander genommen, segmentiert, unterteilt. Teils um das Material in der Analyse zu verstehen, Muster zu erkennen, Strukturen zu verstärken, teils, um nicht mehr zu tun, als die Details, die einzelnen herauspräparierten Stücke, zu zeigen. Die zeigende, hinweisende Geste ist das charakteristische Hauptmerkmal des filmvermittelnden Films. Das emphatische »Das ist sehenswert«, das »Schau!«, selbst wenn es zum negierend »Hey wie abscheulich« wird.
Diese deiktische Geste findet sich im Internet vor allem in Artikulationen der Fan-Kultur. Der Fan ist mehr als ein simpler Rezipient, der etwas gut oder schlecht findet, und weniger als ein anerkannter Autor, dessen Artikulation per se Wert innerhalb eines kulturellen Feldes besitzt. Der Fan als Produzent ist ein emphatisches Subjekt, das man sich zwischen der einfachen Rezeption und der reglementiert-anerkennenden Autoren-Produktion vorstellen muss. Auf Video-Portalen wie Youtube gibt es zahlreiche Artikulationen aus der Fankultur: Trailer-Nachbauen (Spoof, Recut), Literal Video. Bei einer Suchanfrage auf dem anderen populären Videoportal Vimeo ergeben sich 404 Treffer, die mit dem Zusatz "recut" getagged sind. Ein Beispiel dafür: "Introduction to Final Cut Pro. Played around with a scene from Hitchcock's "Psycho."
Eine andere Form der deiktischen Geste im Internet ist anhand der Hervorhebung der technischen Bedingungen der Videokompressionen auszumachen. Unter dem Begriff »Datamoshing« ist in den letzten Jahren eine eigene Form des Filmvermittelnden Films im Internet entstanden. Mit ihr sichtbar gemacht werden die Bewegungsinformationen auf der Materialoberfläche des Videos, also die Verschiebungen der Eindrücke auf der Oberfläche des Films oder Videosensors. Was bei dieser die Technologie umdrehenden Arbeit besonders deutlich wird, sind die Vereinfachungsalgorithmen, die die Informationsmenge, die digital zu einem Video gespeichert wird, drastisch verringern. Wo bei zum Videomaterial gehörenden Bewegungsvektoren Details mit Nebelschleiern verdeckt werden, bleiben beim Datamoshing Bildteile unbeweglich stehen, während sich auf anderen die Formen und Farben des hineingemischten Videos herausschälen.