Filmvermittlung und frühes Kino
»Aller au cinéma - Louis Lumière«
Zu Rohmers Lumièrefilm
1968, zwei Jahre nach der großen Retrospektive der Lumièrefilme in der Cinémathèque Française. Eric Rohmers Aller au cinéma – Louis Lumière ähnelt Filmen, die auch heute, 40 Jahre später, über ein Werk gemacht werden. In rhythmisch gleichbleibendem Wechsel sieht man Ausschnitte aus Filmen und daraufhin Experten, talking heads, die die Ausschnitte und deren Bedeutung besprechen. Diese Form beruhigt. Sie hat etwas sachlich Registrierendes, auf das man sich heute wie vor 40 Jahren gut einstellen kann. Die Experten sind im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Werkporträts jedoch nur zwei: der französische Filmregisseur Jean Renoir und der Gründer der Cinémathèque Française Henri Langlois.
Von einem Werk der Lumières zu sprechen ist umstritten. Das Streitbare dieser Behauptung ist erkennbar an der drängenden Insistenz, mit der von Beginn des Films an beide, Langlois und Renoir, der gegenteiligen Auffassung – dass die Lumièrefilme kein Œuvre von Autoren sind –, die sich implizit in Rohmers Fragen artikuliert, begegnen. Seien die Lumièrefilme nicht, fragt Rohmer, vor allem als Dokumente aufzufassen von einer bürgerlichen Soziokultur Frankreichs? Seine Fragen betonen das Primitive, filmsprachlich Unzulängliche der Filme der Lumières. Das wird von beiden Experten als ungebührliche, kleinbürgerliche und beschränkte Zumutung empfunden. Empört rügen Renoir und Langlois Rohmers mangelndes Empfinden für erweiterte Autorschaft. Man erkennt da: Autorschaft ist etwas, das, in Frankreich mehr noch als anderswo, politisch zu verstehen ist. Daher, anhand der auch politischen Zumutungsempfindung, entzündet sich inmitten des Films eine erstaunliche Vehemenz, die sich bei Langlois beinah in Rage verwandelt. Langlois ist möglicherweise auch über die Lumière-Situation hinaus gereizt von den Ereignissen aus dem Februar 1968 um seine, später wieder rückgängig gemachte, Entlassung durch Kulturminister André Malraux. Langlois: »Was ist altmodisch an den Filmen der Lumières? Die Bourgeoisie! Und was ist modern an ihnen? Die einfachen Leute!«