Filmvermittlung auf DVD

»Quand la peur dévore l’âme«
Un film-mix de François Ozon (F 2007)

Ein neuer Film, zusammengestellt aus zwei existierenden Filmen, dem Hollywood-Melodram All that Heaven Allows (USA 1955) von Douglas Sirk und Rainer Werner Fassbinders Bearbeitung des Stoffes, die den Titel Angst essen Seele auf (BRD 1974) trägt. In Quand la peur dévore l’âme werden Motive aus beiden Filmen nach und nach »aufgedeckt« – einem Memory-Spiel nicht unähnlich. So wie Angst essen Seele auf mit der ersten Begegnung zwischen Emmi (Brigitte Mira) und Ali (El Hedi ben Salem) beginnt, so beginnt auch Quand la peur dévore l’âme mit diesem Motiv. Und wie im Memory-Spiel schließt sich daran das gleiche Motiv noch einmal an: die erste Begegnung zwischen Cary (Jane Wyman) und Ron (Rock Hudson) in All that heaven allows.

An die Stelle eines erläuternden Kommentars treten hier Auge, Ohr und montierende Hände des Filmemachers François Ozon und der Cutterin Muriel Breton, die Motive aus beiden Filmen herausgreifen und zueinander schneiden. Bei der motivischen Neuanordnung folgt Ozon der Dramaturgie, nicht der Chronologie. So wird deutlich, dass in beiden Filmen eine ältere Witwe einen jungen, attraktiven Mann kennen lernt; sie verlieben sich, Nachbarn und Freunde reden ihnen übel nach und auch die Kinder der Witwe lehnen die Verbindung ab. Nachdem der Druck von Außen erhöht wird, was einen der Partner in die Arme eines Dritten treibt, nehmen sie die Beziehung unter neuen Vorzeichen wieder auf. Die Dramaturgie von Sirks Film, die Fassbinder in Angst essen Seele auf neu inszeniert, lässt sich auf die griffige Formel bringen: »sie, er und die Umwelt«.

Was in Ozons Film-Mix zu Beginn ein wenig mechanisch wirken mag, gewinnt im weiteren Verlauf durch die Möglichkeiten der Montage, bei der – wie dem Audio-Kommentar von Ozon zu entnehmen ist – auch behutsame Eingriffe ins Material stattgefunden haben, an eleganter Eigendynamik. Ozon verschaltet die Filme von Sirk und Fassbinder immer stärker miteinander, sodass der Eindruck eines Ineinanders den eines Nacheinanders ablöst. Wenn er etwa die Stimmen aus einem Dialog zwischen Ron und Cary über das Bild von Emmi und Ali legt, die einander sprachlos anblicken, dann wirkt das nicht komisch, sondern beinahe folgerichtig. Diese Überkreuzstellung von Bildern und Tönen funktioniert bei Ozon in beiden Richtungen: So hinterlassen auch Emmis und Alis Stimmen ein rückwärts gewandtes Echo in Sirks gut zwanzig Jahre früher gedrehtem Film. Und auch die Musik aus einem Film lässt Ozon im jeweils anderen anklingen.

Indem Ozon Dialoge auf Bilder legt, in denen Gesichter in Großaufnahmen zu sehen sind und unbewegte Lippen, wirkt das gesprochene Wort wie eine Gedankenblase. Besonders eindrücklich wird dieses Verfahren in Ozons Neubearbeitung der Szene, in der Emmi ihren Kindern die Heirat mit Ali gesteht: Die versteinerten Gesichter in Großaufnahme – das produziert bei Fassbinder einen verfremdenden Effekt und ist Ausdruck seiner radikalen Ästhetik. In seinem Found-Footage-Film unterlegt Ozon die Sprachlosigkeit von Fassbinders Figuren mit den Stimmen von Cary und ihrem Sohn. Auch bei Sirk handeln die Figuren grausam, nur inszeniert er diese Grausamkeit, anders als Fassbinder, grenzenlos emotional. Bei Ozon begegnen sich nun wortlose Kälte und emotionsgeladene Dialoge: Es verbindet sich Fassbinders lehrstückhafte Inszenierung mit der melodramatischen Überhöhung bei Sirk. Auf diese Weise werden bei Ozon, ähnlich wie bei Fassbinder, zwei Inszenierungsstile miteinander verschnürt und stehen sich nicht länger wie zwei unvereinbare Gegensätze gegenüber.

Ozons Film lässt durch die Montage von motivischen und dramaturgischen Ähnlichkeiten und Differenzen den einen Film im anderen aufscheinen. Quand la peur dévore l’âme zeugt einerseits von der Bewunderung Fassbinders für Douglas Sirk und für das Genre des Melodramas, andererseits von der Radikalisierung der Form bei Fassbinder. Die Beobachtung, dass die Bearbeitung von Filmen gegenwärtig im Internet Blüten treibt, nahm Ozon zum Ausgangspunkt für seinen Found-Footage-Film, bei dem er zwei seiner Lieblingsfilme ineinander montiert.

Ozons Found-Footage-Montage, produziert von Allerton, findet sich als Bonus auf der DVD zu Douglas Sirks Film All that Heaven Allows, die unter dem französischen Verleihtitel Tout ce que le ciel permet bei Carlotta erschienen ist. Außerdem finden sich drei Interview-Filme, angereichert mit Filmausschnitten, auf dieser DVD: La tendresse selon Sirk (Eine Zärtlichkeit wie bei Sirk) von Robert Müller mit dem Regisseur Todd Haynes, der, an Sirk und Fassbinder anknüpfend, 2002 das Melodrama Far from Heaven gedreht hat, Éclats du mélodrame: Filiations mit dem Filmhistoriker Jean-Loup Bourget und schließlich Contract Kid mit dem Schauspieler William Reynolds, der mehrfach mit Sirk gedreht hat. Ein weiteres Highlight unter den DVD-Boni ist der Film Les Films libèrent la tête von Nicolas Ripoche. Hier wird zu ausgewählten Filmausschnitten aus All that Heaven Allows in französischer Sprache ein Auszug aus Rainer Werner Fassbinders Sirk-Text von 1971 vorgelesen – ein bisher noch nicht gesehener und gehörter Umgang mit Off-Kommentar. [1]

[1]Rainer Werner Fassbinder: Imitation of Life. Über die Filme von Douglas Sirk. In: ders.: Filme befreien den Kopf. Hrsg. von Michael Töteberg. Frankfurt / Main: Fischer 1984. S. 11-24. (Der Film zitiert nur Fassbinders Text zu All that Heaven Allows: S. 12-14.)

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