Filmvermittelnde Experimentalfilme
Sobald man weiß, um was es geht, sieht man nichts
Im Juli 2008 sprachen Michael Baute, Stefan Pethke, Volker Pantenburg, und Stefanie Schlüter in den Räumen der »Medienwerkstatt« in Wien mit Gustav Deutsch über seine Arbeiten und sein Verständnis von »Filmvermittlung«.
Anfänge: Video und Medienwerkstatt
Wir möchten hier in Wien das Feld »Filmvermittlung« etwas anders konturieren. Anders als in Deutschland und Frankreich sind wir hier auf die Materialfilmtradition im weitesten Sinn gekommen. In der Forschung am Filmmaterial scheint uns, manchmal bewusst und manchmal unter der Hand, ein Vermittlungsgedanke anwesend zu sein. Bei Ihnen ist das bereits in den Filmtiteln besonders ausdrücklich der Fall: »Schule des Sehens«, »Film ist.«. Wir versuchen herauszubekommen, was das Spezifische daran ist, welche Kinobegriffe darin enthalten sind. In Bezug auf Ihre Hintergründe wird oft die »Medienwerkstatt« hier in Wien erwähnt. Können Sie zunächst dazu etwas sagen?
Ich war zwar kein Gründungsmitglied der Medienwerkstatt, aber ich war von Ende 1979 bis 1983 dabei. Ungefähr vier Jahre. 1979 habe ich mein Architekturstudium abgeschlossen, aber ich wollte nicht gleich als Architekt arbeiten. Ich wollte ein bisschen Pause zum Überlegen haben. Mein Interesse waren Fotografie und Film, und ich habe mich auf der Münchener Filmhochschule beworben, wo ich abgelehnt worden bin. Im Herbst dieses Jahres habe ich dann angefangen, in einem Architekturbüro zu jobben. Mein Vorgesetzter – Ernst Kopper – hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, an einem Videoprojekt zu arbeiten. Das hatte er vier Jahre vorher eingereicht, und jetzt war es bewilligt worden, aber die Leute, mit denen er das eingereicht hatte, waren inzwischen alle weg. Das war damals ein »lokales Fernsehprojekt« – die Kamera und das Video als Instrument der Partizipation. Schwarz-weiß, 3/4-Zoll. Schwer. Das war ein Projekt im Weinviertel in Niederösterreich. Ein Jahr lang haben wir alles, was man unter dem Stichwort »Kulturveranstaltung« zusammenfassen kann, besucht und aufgenommen und zusammengefasst: Den Maibaum aufstellen, die Eröfffnung der Weinbauschule, die Eröffnung einer Umfahrungsstraße, Bierzelte. Ein Jahr später sind wir mit der Medienwerkstatt wieder dahin. Wir hatten einen Bus mit Außenmonitoren und haben im Sinne des direkten, partizipativen Kinos diese Filme bei den gleichen Feiern gezeigt. Das ist heute kaum mehr nachzuvollziehen, aber damals war man mit einer Fernsehkamera nicht privat. Sie glaubten alle, wir seien vom ORF.
Was war der Gedanke dabei?
Wir haben uns damals langsam von dem entfernt, was unter Videoarbeit in der »Medienwerkstatt« in Wien oder bspw. in Freiburg verstanden wurde. Wir haben angefangen, auch der Ästhetik des Bildes und dem Produkt Video Aufmerksamkeit zu schenken und nicht nur dem politischen Inhalt. Am Anfang wurden wir dafür angegriffen. Es waren Filme, die beispielsweise für die »Freiburger« zu romantisch und ästhetisch waren. Ihnen ging es mehr um den politischen Kampf, wir haben uns davon ein bisschen entfernt. In Zürich hatte es auch so eine Gruppe gegeben, die hat einen Film gemacht, der Züri brennt hieß. Die haben das gleiche gemacht. Aber die Punkästhetik war bei uns nicht so ausgeprägt. Wir haben auf dem Land gearbeitet und nicht in der Stadt. Da war daher die Poesie ein Thema.
Gab es zwischen den Medienwerkstätten einen engen Austausch?
Wir haben uns gekannt. Wir waren sicher zwei, dreimal in Freiburg und diskutierten. Außerdem haben wir regelmäßig Arbeiten von ihnen gezeigt und sie auch unsere. Wir haben aber nie zusammengearbeitet.
Gab es einen Vertrieb?
Es gab einen Vertrieb über die »Medienwerkstatt« in Österreich. Der war aber nicht sehr effektiv. Vielleicht gab es zwei, drei Festivals im Jahr. Es gab ein Videofestival in Den Haag, ein Festival in Montpellier. Für den nächsten Film, den ich hier in der »Medienwerkstatt« mit Manfred Neuwirth und Gerda Lampalzer gemacht habe, haben wir in Montpellier einen Preis vom belgischen Fernsehen bekommen.
1981, 82, haben wir, um uns nicht gegenseitig zu konkurrenzieren bei den Förderstellen, ein Projekt erfunden mit einem Generalthema und pauschal für 6, 7 Filme eingereicht. Und dann hat jeder von uns zu dem Thema etwas gemacht. Das Thema war so vage wie möglich: »Traum und Wirklichkeit«.
Für eine der Arbeiten, die ich gemacht habe, bin ich nach Luxemburg gefahren. Ich hatte gehört, dass da eine Künstlergruppe aus Wien war, Abgänger von der Akademie der Bildenden Kunst. Einer von ihnen hatte dort den Leiter eines Rehabilitationszentrums kennen gelernt. In diesem Zentrum wurden Bilderrahmen für Ausstellungen hergestellt. Und der Leiter hat gefragt, ob er Interesse hätte, mit geistig Schwerstbehinderten zu arbeiten. Sie haben das dann als Künstlergruppe gemacht. Normalerweise zerlegen diese körperlich und geistig Behinderten Uhren oder ähnliches. Sehr destruktive Tätigkeiten. Ich habe da ein Tonband über die Zusammenarbeit dieser Künstlergruppe mit den Behinderten gehört und daraufhin beschlossen, dahin zu fahren, und ein Video darüber zu machen.
So bin ich zu dieser Gruppe gekommen, die später der Blaue Kompressor wurde und der ich noch immer angehöre. Als Nachfolgeprojekt haben wir in Luxemburg einen öffentlichen Park gebaut mit denselben Schwerstbehinderten. Also auch dort in der Kunst-Phase die politische, gesellschaftliche und sozial engagierte Richtung weitergeführt. Das Alternativprojekt zum Garten wäre ein Film gewesen. Wir wollten mit den Behinderten alles entwickeln. Die Geschichte, Kleidung, Kostüme, Kulissen – alles. Aber die Förderer haben sich für den Garten entschieden. Ich habe dann – wieder mit Gerda und Manfred – beim Parkprojekt meinen zweiten Film gedreht. Das war die Übergangsphase zur Kunst. In der Zeit in Luxemburg habe ich angefangen, auf Super-8 zu drehen. Ich bin also den völlig umgekehrten Weg gegangen: Ich bin mit der modernen Technologie eingestiegen und zurück zum Film gekommen.
Film, Installation, Konzert – Medien, Formate und Orte
Und auch zurück in die Filmgeschichte…
Es ist eigentlich völlig egal, mit welchen Geräten man unterwegs ist, ob es jetzt eine Videokamera ist oder Super-8. Wenn man sich Fragen stellt, dann ist die Methode gar nicht so wesentlich.
Für welche besonderen Einsätze eignen sich bestimmte Medien?
In der Hinsicht bin ich absolut kein Fundamentalist. Es ist immer die Frage des Einsatzes der Mittel. Ich würde auch wieder zur Videokamera greifen, wenn ich ein adäquates Projekt hätte. Im letzten Jahr habe ich über Fernsehen gearbeitet, über den Tatort für eine Ausstellung in Köln. Ich habe 120 Tatorte gesichtet. Das war eine Arbeit über das Fernsehen, die so für mich nicht absehbar war. Es ist an mich als Fragestellung herangetragen wurden. Das war eine Installation mit zehn Flatscreens und Sitzkojen. Auf den Flatscreens ist dann jeweils eine 10-15 minütige Schleife gelaufen zu einem bestimmten Aspekt des Themas Migration im Tatort. Die Wahl des Mediums richtet sich also immer nach der Fragestellung.
Ihr Umgang mit den eigenen Arbeiten scheint uns ein besonderer zu sein. Bei »Film ist.« ist vorgesehen, einzelne Kapitel separat zu zeigen und je nach Einsatzort oder nach dem, was es an Fragestellungen gibt, herauszulösen. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt auch die fundamentalistischere, puristischere Auffassung, dass das Werk feststeht und nicht angetastet werden darf.
Ich finde es spannend, verschiedene Formate zu einem bestimmten Thema zu entwickeln. Das Format des Tableau-Films ist an sich dafür gedacht, zu vergleichen. Es ist ja schon eine Inventur. Diese Art von Film ist ja nicht neu. Es ist ein tolles Format, bei dem man sich als Kurator etwas auswählen kann. Außerdem ist es spannend, wenn jeder Film ein Versuch ist. Bei Welt Spiegel Kino habe ich im Nachhinein versucht, eine Installationsversion zu entwickeln, denn man erreicht komplett andere Leute, wenn man in den Ausstellungskontext geht.
Auch mit der Musik erreicht man andere Leute. Von den Film ist.-Filmen haben wir mindestens 12 Konzerte gehabt. Von Portugal, Irland, bis Holland. Immer waren andere Überlegungen im Hinblick auf die unterschiedlichen Räume im Spiel. In Villa da Conde in Portugal zum Beispiel haben wir immer zuerst einen Akt aus Film ist. mit dem Originalsoundtrack gezeigt und danach Originalmaterial aus den Archiven, zu denen live gespielt wurde. Das war Material, das in den Filmen vorkommt. Wir haben drei Kapitel ausgewählt und es gab drei Livesessions dazu. Da kommen ganz andere Leute, das ist faszinierend.
Ist es ein großer Unterschied, Installationen oder lineare Filme zu konzipieren?
Manche Arbeiten würde ich nie unkommentiert linear zeigen. Die zeige ich, wenn ich dabei bin und dazu sprechen kann, nie als Linearversion. Es ist eine Präsentationsform, die nicht installativ ist, sondern eine lecture.
Und wenn Sie etwas zunächst als Film entwickelt haben und später daraus ein installatives Werk wird?
Dann wird das eigens geschnitten. Das ist nie die gleiche Version. Wenn die Bilder gleich sind, wie bei dem parallel laufenden Tryptichon aus Welt Spiegel Kino, dann verändere ich den Soundtrack. Ich verändere den Soundtrack so, dass er den Blick lenkt. Dort, wo ich gerne hätte, dass man hinschaut, ist es lauter und der andere Ton geht weg. Der Ton steuert die Aufmerksamkeit.
Begriffe des Politischen
Noch einmal zurück auf diese erste Phase Ende der 1970er: Waren das unterschiedliche Milieus in der Medienwerkstatt und im Filmmuseum?
Komplett verschieden. Zur damaligen Zeit gab es keine Berührung. Die »Medienwerkstatt« kam nicht aus einem filmischen Afficionadotum, sondern aus einer eher publizistisch-politischen Idee. Sie waren ja alle eher Publizisten. Niemand kam vom Film. Das war etwas komplett anderes.
1976 hat es in Wien die große Besetzung des Schlachthofs gegeben, die »Arena«. Da war ich den ganzen Sommer über. Und im September bin ich auf die Biennale nach Venedig gefahren. Das waren völlig verschiedene Welten. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Das eine war kulturpolitische Arbeit, das andere war Kunst. Mit den Videoarbeiten haben wir angefangen, die Grenzen etwas zu erweichen. An sich war hier die Videoarbeit kulturpolitische Arbeit und keine Filmkunst. In den Räumlichkeiten der »Medienwerkstatt« wurde nie über Film diskutiert. Hier wurde über Politik geredet. Darüber, wie man die Leute erreicht, wie man interveniert, wie man das Medium als Instrument verwendet für Hausbesetzungen, für was auch immer… Die ersten Arbeiten, die hier gemacht wurden, waren Gegen-Wochenschauen.
In der »Arena« hat es auch ein Kino gegeben. Diejenigen, die das da betrieben, haben auch den Filmladen gegründet. Der Filmladen und die Medienwerkstatt waren eine Gemeinschaftsaktion. Der »Filmladen«, das waren: Michael Stejskal, der jetzt noch das Votiv-Kino hat, Franz Grafl, Ruth Beckermann und der Josef Aichholzer, der Produzent von Die Fälscher.
Es war etwas anderes, wenn man in der »Arena« ein Video gedreht hat und dann dort am Abend ins Kino gegangen ist und sich einen Film von Werner Herzog angeschaut hat. Es war wichtig, dass das dort gelaufen ist, aber es war nicht das Ziel, in der »Arena« einen Film wie der Werner Herzog zu machen. Ich kann das aber nicht als Bruch empfinden. Sein eigenens Leben empfindet man immer als Fluss. Für mich gibt es da keinen großen Unterschied zwischen den Arbeiten hier in der »Medienwerkstatt« – also den eher politisch-gesellschaftlichen orientierten Arbeiten – und dann den Arbeiten über das Medium Film. Auch das hat für mich eine politische Dimension. Das ist auch das, was ich in den Vermittlungstätigkeiten zu sagen versuche. Ich bin der Meinung, dass bis heute nicht verstanden wurde, wie das Medium funktioniert. Die Menschen kriegen gar nicht mit, welche Macht in dem Ding liegt, weil sie es nicht verstehen. Wenn man verstehen würde, wie was gemacht ist, könnte man eigentlich nicht alles glauben. Meine Arbeit hat keinen offensichtlich politischen Charakter, weil ich nicht agitativ bin und weil ich nicht mehr zum G-8-Gipfel fahre und das filme – damals hätte ich das sicher gemacht –, aber ich empfinde mich trotzdem nicht unpolitisch in dem, was ich tue.
Super-8 | Adria-Urlaubsfilme
Wurde der Moment, in dem Sie anfingen, mit Super-8 zu arbeiten in der Medienwerkstatt als Absprung verstanden?
Ich habe damals kurze Sachen gemacht. Damals haben die das überhaupt nicht gezeigt. Ich habe dann 1993-94 eine Super-8-Schau gemacht, in der ich alle Super-8-Filme zu Programmen zusammenstellte. Einige habe ich auf 16-mm aufgeblasen. Das Programm hieß »3 Minuten aus der Ewigkeit«. Für mich hat Super-8 verschiedene Qualitäten gehabt. Einerseits war es eine Art Tagebuch-Geschichte für Aufzeichnungen von Fortbewegungen und Räumen. Andererseits habe ich schon früh über Super-8 geforscht. Die erste Arbeit, die ins Kino und auf Festivals gekommen ist, war Adria Urlaubsfilme, eine Arbeit über Hobbyfilme, gedreht an der Adria.
Dazu gehört, dass man das Material findet, auf es aufmerksam wird. Die Fragestellung, dass man das, was man vorher selbst gemacht hat, verstehen möchte. Wie beschreiben Sie den Schritt zum gefundenen Material?
Ich habe damals an mir selbst mit der Super-8-Kamera festgestellt, dass das was ganz anderes war, als mit Video zu filmen. Ich hatte keine Aufgabe, hatte mir kein Thema gestellt. Ich habe die Kamera für meine Tagebuchsachen benutzt. Dabei habe ich festgestellt, dass das, was ich da mache, unterschiedliche Qualitäten hat.
Zum Beispiel in einer fremden Gegend, wie die Oase in der Sahara, in der ich in Abständen immer wieder lebte, es für mich war, jeden Tag einen Schwenk zu machen… Das ist so, als beziehe man eine Position. Man nimmt einen Punkt, stellt sich hin und schaut, ohne etwas zu verfolgen, was da drumherum ist – wie ein Periskop, das aus dem Meer auftaucht. Und indem man zeigt, was drumherum ist, spricht diese Einstellung gleichzeitig auch davon, dass man selbst in der Mitte ist. Man tastet die Welt ab, in der man sich aufhält. Es ist komplett was anderes, wenn ich mich auf ein Pferdefuhrwerk in der Oase setze und irgendwohin fahre. Und es ist komplett was anderes, wenn ich die Kamera in ein Cafehaus stelle und die Kamera macht alle vier, fünf Minuten Aufnahmen und nach 10 Stunden hole ich sie wieder ab. Ich wollte da eigentlich nie filmen. Das ist immer schwierig, in so einer Gegend eine Kamera herauszunehmen. Ich habe dann meist nur gefilmt, wenn niemand da war. Ich habe die Kamera aufgebaut und bin weggegangen.
Das alles sind für mich Versuche gewesen, von denen ich gelernt habe. Als ich dann zum ersten Mal auf dem Flohmarkt Filme gekauft habe und Super-8-Filme aus den 60er-Jahren gesehen habe, dachte ich mir, dass die Urlauber damals eigentlich dasselbe gemacht haben. Es gibt irrsinnig viele Schwenks in diesen Filmen, das sieht man in Adria-Urlaubsfilme 1954-68. Es gibt viele Beobachtungen von Wellen. Nicht nur, weil das exotisch ist und weil man das zum ersten Mal in seinem Leben gesehen hat. Es ist eigentlich die gleiche Faszination, die beschrieben wurde von den Leuten, die das erste Mal einen Film auf der Leinwand gesehen haben. Die hatten verwundert gesagt: »Da bewegen sich ja die Blätter in dem Baum, und da bewegt sich ja das Wasser!« Es war nicht das Geschehen, was sie interessiert hat, sondern die bewegte Natur. Genau das haben die Urlaubsfilmer auch gesehen. Die Leute waren in den 60er-Jahren noch nicht vom Fernsehen beeinflusst. Diese ursprüngliche Faszination, auch aus dem frühen Kino, haben sie dann auf die Arbeit mit der Super-8-Kamera übertragen. Sie haben es nachgemacht.
Diese Filme haben auch sehr viel über die Personalität des Filmschaffenden gesprochen. Es hat beispielsweise Filmemacher gegeben, die sehr viele »Jagdszenen« gefilmt haben; also: dem Ball nachjagen oder dem Motorboot nachjagen. Das zeigt einen anderen Charakter, als wenn ich mich hinstelle und einen 180-Grad-Schwenk aus dem Hotelzimmer mache, ohne irgendetwas zu beobachten oder zu sehen.
Darum ist Adria-Urlaubsfilme 1954-68 dann auch so stringent und formal geschnitten. Der additive Schnitt war eine Möglichkeit, das zu entprivatisieren. Ich habe mir gedacht, es ist eine gute Möglichkeit, über Filme zu arbeiten, sie sich genauer anzuschauen, zu denen damals eigentlich niemand gearbeitet hat. Der Super-8-Film ist ein Stiefkind der Filmgeschichte.
Keiner der Schnitte in Adria-Urlaubsfilme 1954-68 ist von mir gewollt. Ich habe mit den Aufnahmen eines Filmemachers begonnen, und nachdem das Material von dem einen aus war, habe ich mit dem nächsten weitergemacht. Dann wieder den nächsten, dann wieder den nächsten. Das, was aneinander kommt, ist stückweise immer der gleiche Autor und dann endet es. Es ist nie ein gewollter Schnitt. Die erste Sequenz besteht nur Stills, aus Stilleben. Es beginnt mit stillen Objekten, mit Schildern. Es bewegt sich absolut nichts. Das zweite ist dann das Meer. Und das dritte ist eine Abfolge von Ereignissen von sich bewegenden Dingen: eine Fahne, ein Feuer, ein Feuerwerk, eine Schaukel, eine Gondel, ein Auto im Kreisverkehr. Der Filmemacher hat das aufgenommen, und ich habe das »geschnitten«. Aber zugleich ist das auch nicht von mir »geschnitten«. Es ist von den Filmemachern. Das, was ich gefunden habe, habe ich hintereinandergelegt und dann bin ich zum nächsten gegangen, es ist einfach additiv. Was dabei für mich herausgekommen ist, ist, dass etwas dabei entsteht, wenn man nur einen rein formalen Aspekt wählt. Zum Beispiel alle Schwenks von unten nach oben und von oben nach unten. Dabei kommt eine Architekturstudie heraus. Das sind alle Campaneles und Leuchttürme Italiens und Jugoslawiens. Das habe ich vorher nicht gewusst.
Es sagt etwas aus über das spezifische Interesse derjenigen, die das gefilmt haben.
Es sagt was über das Interesse aus, es sagt aber auch, dass man mit formalen Charakteren, mit formalen Strukturen, rein formalen Strukturen, völlig verschiedene Strukturen von Film herauskriegt. Man hat mich gefragt, was ich damit zeigen wolle. Zum Beispiel bei diesen Konventionen von Schaukel, Feuerwerk, Feuer. Wollte ich zeigen, dass die Filmemacher sehr fantasievoll waren, obwohl sie normalerweise immer das gleiche gemacht haben? Das wollte ich eigentlich nicht. Natürlich ist das fantasievoll, aber natürlich kommt das nie so in einem Super-8-Film vor. So hat kein Super-8-Filmer gefilmt. Der Super-8-Filmer hat seine Familie dazwischen gefilmt und am Ende von 2 Minuten kommt vielleicht ein Feuerwerk. Eine spannende Sache wird es dann, wenn man diese Sachen kombiniert.
Sortieren und Kompilieren: Die Bildbank
Das scheint uns eine basale Operation des Sortierens zu sein. Das Sortieren, das sich einem Blick verdankt. Man muss es sich erst genau anschauen und dann kann man es nach unterschiedlichen Kriterien sortieren.
Bei Adria-Urlaubsfilme 1954-68 ist die Sortierung das Ergebnis geblieben. Bei Film ist. ist es anders. Die Sortierung bei Film ist. ist die Bildbank, die Sortierung ist nicht das Endprodukt. Sie ist nicht wichtig. Ich zeige bei lectures auch Ausschnitte aus der Bildbank. Diese Bildbank hat eine eigene Qualität, die Bildbank ist »die Ordnung«. In ihr subsummiere ich unter einem Stichwort oder unter einem Thema Ausschnitte aus allen Filmarchiven.
In die Bildbank geht alles ein, was an Bildern prozessiert wird?
Alle Bilder, die ich recherchiert und ausgewählt habe… Ich bekomme jetzt ein Video vom CNC in Paris oder vom Imperial War Museum in London, und auf dem Video sind alle Ausschnitte drauf, die ich auf dem Originalfilmmaterial markiert habe und die mir ausgespielt wurden. Diese Ausschnitte nehme ich hervor und zerteile sie. Ich lege sie in meine verschiedenen Schubladen. Dazu kommt dann beispielsweise ein weiterer Film aus Frankreich. Den lege ich zu den Schubladen dazu.
Die Kombination der Bildbank besteht aus Teilen von allen Filmarchiven zu einem bestimmten Thema. Sie müssen natürlich beschriftet sein, denn wenn ich schneide, weiß ich sonst nicht mehr, was das für ein Teil ist. Ich muss nachvollziehen können, aus welchen Filmen die Ausschnitte stammen. Die Beschriftung ist notwendig. Aber wenn man das Archiv nicht auswendig kennt, nutzt auch das ganze Ordnungssystem nichts. Ich muss also eigentlich alle Bilder auswendig kennen. Ich muss wissen, was ich habe und was ich nicht habe. Wenn ich zum Beispiel ein Gewitter suche und ich weiß nicht, ob ich eines habe, dann suche ich es vergeblich. Das Gewitter muss genau dort liegen, wo ich es abgelegt habe.
Es gibt also nicht die Schublade »Gewitter«, sondern andere Schubladen.
In diesem Fall gibt es eine andere. Ein Oberkapitel bei Film ist. A Girl and a Gun ist »Genesis«. Und unter »Genesis« gibt es »Feuer«, »Wasser», »Erde«, »Vulkane«, »Lava«, »Eruptionen«.
Linear vs. hypertextuell | Arbeit mit Archiven
Die Bildbank ist ein digitales Bildarchiv. Wir sind in den letzten Tagen oft auf den Unterschied zwischen hypertextuellen und linearen Verfahren der Filmvermittlung gekommen. Linear ablaufende Filme haben normalerweise einen festgelegten Anfang, eine Mitte, ein Ende. Hypertextuelle Verfahren arbeiten mit anderen, eher räumlich als zeitlich vorstellbaren Modellen: an der einen Stelle ist das eine und darunter ist etwas anderes gelagert. Ihre Filme sind zunächst linear gebaut. »Welt Spiegel Kino« vermischt beide Modelle.
Welt Spiegel Kino ist wie eine DVD-ROM aufgebaut. Es war eigentlich keine strukturelle oder formale Idee am Anfang, am Anfang stand das Faszinosum dieses einen Bildes: Der Schwenk über die Hauptstraße in Surabaya mit einem Kino, wo der Film von Fritz Lang gespielt wird – Siegfried der erste Teil der Nibelungen. Das war der Anfang. Ich habe mir gedacht: Ich würde gerne mehr wissen über die Rezeptionsgeschichte von deutschem expressionistischem Kino zu der Zeit in Indonesien. Wer ist da ins Kino gegangen? Wie ist Siegfried da überhaupt angekommen? War das nur für die Holländer? Und wie haben die Holländer das überhaupt verstanden? Warum haben die sich das überhaupt angeschaut? Da sind einfach viele Fragen aufgetaucht. Gleichzeitig hat es auch sehr viele Parallelen in der Geschichte gegeben. Der Drache spielt in der Kultur Indonesiens zum Beispiel eine ganz wichtige Rolle. Im Zuge des Sichtens hat sich für mich eine Welt eröffnet, und dann hat sich die Idee gebildet, dass es wohl nicht dabei bleiben wird, dass ich nur einmal in das Kino reinzoome. Ich wollte weiter gehen. Mit einem Auto in eine andere Person und in eine andere gehen und wieder zurückkommen. Beim Sichten habe ich mir gedacht, dass das zu platt würde, zu einfach. Ich war nicht zufrieden. Ich hatte so schöne Sachen gefunden und ich habe gewusst, ich bringe sie in dieser Straßenszene nicht unter. Zum Beispiel das Schattentheater. Ich habe nicht gewusst, wie ich da hinkommen sollte. Ich musste mich wegbewegen und über eine Person, die irgendwohin geht, die ein Schattenspieler sein kann, in ihn eindringen. Es ist eine Notwendigkeit geworden, so zu arbeiten.
Wie wichtig ist für diese Arbeit die Kenntnis anderer Archive?
Mittlerweile kenne ich das Niederländische Filmarchiv sehr gut. Ich könnte nicht sagen, was sie haben und was nicht, aber ich habe sehr viel aus dem Archiv gesehen. Von anderen Archiven habe ich nur das gesehen, was mir zur Verfügung gestellt wurde. In Portugal zum Beispiel habe ich keinen Überblick. Portugal habe ich gewählt, weil ich über Film ist. 7-12 erfuhr, dass sie sehr viele Dokumentarfilme aus der frühen Zeit von Salazar haben. Ich habe mich gefragt, wieso das im Vergleich zu anderen ethnographischen Filmen so toll ist. Mir wurde dann von diesem »Gesetz der 100-Meter-Nationalfilme« berichtet. Vor jedem internationalen Film haben sie 100 Meter nationalen Film spielen müssen. Dafür wurden viele Auftragsarbeiten vergeben, an damals noch sehr junge Filmschaffende, die dann später berühmte Regisseure geworden sind. Darum sind diese Filme irrsinig toll, vom Licht, von den Ausschnitten, vom Set. Das ist außergewöhnlich. Dann habe ich in Portugal nach mehr gesucht, weil ich wusste, da gibt es wahnsinnig viel Material, das Leute sehr gut gefilmt haben.
In der Regel gibt es also ein Thema, bevor sie sich an ein Archiv wenden. Sie wissen vorher, was sie von dem Archiv speziell erwarten könnten.
Beim neuen Film habe ich Portugal bei der Recherche nicht dabei, weil es für dieses Thema bisher nicht sehr in Erscheinung getreten ist und weil ich bereits Filme aus dem Archiv für Film ist. 7-12 gesichtet hatte. Wenn ich davon etwas benötige, muss ich nicht mehr nach Portugal fahren. Dafür war das Archiv in Bologna wichtiger und das Archiv des Kinsey-Instituts und das Imperial War Museum, das neu dazugekommen ist.
Das Kinsey-Archiv wurde für Sie zum ersten Mal geöffnet?
Meines Wissens ist es das erste Mal, dass sie eine Privatperson da reingelassen haben. Sie haben zum ersten Mal nicht einer Institution, sondern einem Filmschaffenden Filme verkauft. Sie hatten es für das Sexmuseum in New York gemacht und für den Spielfilm über Kinsey. Ihre Politik ist eine der Diskretion, im Sinne von Kinsey: eine Politik der Forschung und nicht des Zeigens. Das Institut ist bedroht, weil es in einem sehr konservativen Bundesstaat liegt. Sie wollen eigentlich gar nicht in Erscheinung treten. Dass sie mir das gestattet haben, hat also auch damit zu tun, dass ich kein Amerikaner bin. Meine Filme laufen in Amerika vielleicht bei vier, fünf Festivals. Daher bin ich keine Gefahr. Zweitens habe ich Geld. Ein Amerikaner, der keine Foundation hinter sich hat, kann es sich nicht leisten, Kinsey-Filme zu kaufen. Drittens schätzen sie meine Arbeit. Wenn die Bibliothekarin meine Arbeit nicht geschätzt hätte, hätte ich keine Chance gehabt. Es hängt immer von Einzelpersonen ab. Es hätte also genau so gut nicht klappen können.
»Odyssee today«, eine interaktive CD-ROM
Zurück zur CD-ROM… Zusammen mit Hanna Schimek…
Das ist eine CD-ROM über ein Langzeitprojekt, das zehn Jahre gelaufen ist. Das hieß »Odyssee today, Die Kunst der Reise«. Das haben wir damals begonnen, als wir beide in Luxemburg bei dem Park-Projekt gearbeitet haben. Das Projekt lief immer von Mai bis Oktober. Dann wurde das Wetter schlecht und wir sind nach Marokko gegangen. Von November bis März waren wir in Marokko, sind gereist und haben gearbeitet. Wir haben das »künstlerische Forschungsarbeiten« genannt und haben zum Beispiel über das Wassersystem geforscht und verschiedene andere Projekte gemacht, die wir auch vor Ort gezeigt haben. So haben wir begonnen, zu dem Thema »Begegnungen mit der Fremde« verschiedene Arbeiten zu machen. Wir wollten diese Arbeiten auch in Österreich zeigen, und nicht nur unsere. Es wäre uns eigenartig vorgekommen, zu sagen: Wir waren in der Sahara und wollen zeigen, was wir dort gemacht haben. Wir wollten einen Rahmen dafür finden. So kam es zum Projekt »Begegnungen mit der Fremde – Kunst der Reise – Odyssee today«. Wir haben auch andere Künstlerinnen und Künstler eingeladen, uns Arbeiten zu geben. Wir haben ein Archiv gegründet, das »Kunst der Reise«-Archiv. Das haben wir zwei Monate in Wien betrieben. Dann sind wir mit diesem Archiv nach Frankfurt. Wir haben ein Lokal gemietet am Römer und haben dort für wieder drei Monate das »Kunst der Reise«-Archiv aufgemacht und Frankfurter Künstler eingeladen. So ist das Ganze gewachsen und wir sind weiter nach London. Dort haben wir ein aufgelassenes Ticket-Office in einer Bahnstation gemietet und Londoner Künstler um Arbeiten gefragt. Und die letzte Aktion war dann in Athen. Da haben wir eine Konferenz zu dem Thema veranstaltet und eine Ausstellung. Und über diese ganzen zehn Jahre dieses Projekts gibt es eine CD-ROM. Die enthält unsere eigenen Arbeiten und die der anderen Künsterlinnen und Künstler.
Die Arbeit erstreckte sich von 1985 bis 1995. Diese Arbeit, mit Übergängen zu arbeiten, also: Kunst und Wissenschaft und Konferenzen zu machen, kuratorisch tätig zu sein, anderen Leuten einen Rahmen zu geben – es kommt einem so vor, dass das erst Ende der 90er Jahre zu einem Programm geworden ist.
Damals wollte in der Kunstwelt niemand was davon wissen. Wir haben uns wirklich bemüht, Zeitschriften dahin zu bekommen, um Fotos zum machen oder einen Artikel zu schreiben… Das war überhaupt kein Thema. Damals wurden gerade die Neuen Wilden abgefeiert. Das Einzelkünstlertum, »endlich wieder Malerei«… und so. Das waren die Themen in den 80er Jahren. Und wir waren da in der Provinz, in Luxemburg, in den Ardennen. Es war nicht vorstellbar, dass da irgendjemand hinkommt. So war das auch mit diesem Projekt. Nachdem wir im Kunstbereich nie den traditionellen Weg der Galerien-Vertretung gehen wollten, waren wir von Anfang an immer gezwungen, sowohl organisatorisch als auch kuratorisch tätig zu sein. Der »Blaue Kompressor« als Verein, so ist das Konstrukt, sucht neue Formen der Präsentation von Kunst. Es geht um die Wiedererlangung von gesellschaftlicher Effektivität von Kunst. In diesem Sinne ist das für mich auch eine Kontinuität in Bezug auf meine Tätigkeiten mit Architektur und Video.
Es ist plausibel, dass die Hoheit über die eigenen Mittel und auch über die eigene Art der Vermarktung etwas besonderes ist.
Die Organisation war von Anfang an ein wichtiger Aspekt. Das ist auch sehr mühsam. Bis 1994 habe ich als Architekt gearbeitet, weil es nicht möglich war, das Leben sonst zu finanzieren. Drei, vier Monate im Jahr mit vollem Einsatz Wettbewerbe zeichnen, 120 Stunden die Woche oder mehr, und dann den Rest des Jahres für Kunst oder Film leben. Seit 1994 geht es glücklicherweise. Es bedeutet auf jeden Fall viel zusätzliche Mehrarbeit und Engagement und Können. Einen EU-Antrag für Förderung zu schreiben muss man zunächst erstmal lernen.
Zeigen und Vermitteln
Ein besonders vermittelnder Aspekt in Ihren Filmen ist ja das Zeigen. Dinge werden aus Archiven hervorgeholt, die üblicherweise mit starken Zugangsbarrieren verstellt sind. Sie überwinden Spezialkenntnisse.
Als ich Film ist 1-6 gemacht habe, da waren mir die Filmarchive noch fremd. Ich wusste, dass es in Wien eine Stelle gab für den Lehrfilm. Dort wurden Lehrfilme für Schulzwecke, Institutionen, Universitätsinstitute verliehen. Diese Filme wurden in Katalogen erfasst. Sie waren für mich damals ganz leicht greifbar. Ich bin hingegangen und habe sie mir ausgeborgt. Diese Stelle ist dann dem Filmarchiv Austria einverleibt worden. Noch drei Jahre später hat das Filmarchiv für die Erhaltung dieser Sammlung um eine Sonderfinanzierung angesucht. Diese Finanzierung wurde aber nicht gewährt und daraufhin haben sie alle Filme an die Hersteller zurückgegeben… Diese Filme sind jetzt in den Universitätsinstituten verschwunden. Da sind Filme dabei… das glaubt man nicht! Filme, die man nie mehr wieder finden wird, die nie mehr greifbar sein werden. Insofern ist Film ist 1-6 und meine Bildbank dazu eine Dokumentation dieser Institution, die es damals noch gegeben hat und die jetzt schon verschwunden ist. Dann bin ich nach Göttingen zum Institut für den Wissenschaftlichen Film gefahren. Das war eine viel größere Institution, die auch viel mehr Filme hatte. Da habe ich 14 Tage verbracht. Das waren im wesentlichen die zwei Stellen, mit denen ich damals gearbeitet habe.
Ich bin dann nach Amerika gefahren und habe mit archive films gearbeitet, aber auch Filme auf Flohmärkten gekauft. Und dann ist das Niederländische Filmmuseum an mich herangetreten: Wenn ich diese Arbeit fortsetzen möchte, dann würden sie mir ihr Archiv zur Verfügung stellen. Das hat mir die Türen geöffnet, weil die unheimlich hilfsbereit waren. Sie haben mir einen Schneidetisch zur Verfügung gestellt, ich durfte drei Wochen lang sichten. Ich habe den Film dann dort fertiggestellt. Sie haben den Kontakt zu einem Trickstudio hergestellt. Warum unterstützen sie das? Weil sie als Archiv verstehen, dass meine Filme ein anderes Publikum finden und dadurch auch ihre Filme ein anderes Publikum finden als im normalen Verleih. Wenn ich meinen Film weltweit auf 32, 35 Filmfestivals zeige, dann wird auch ihr Material dort präsentiert und findet ein anderes Publikum, ein Publikum, das diese Filme sonst nie sehen würde.
Das Niederländische Filmmuseum scheint in dieser Hinsicht besonders aktiv zu sein.
Sie haben dort drei, vier Workshops gemacht, die sehr legendär sind. Einer zum Thema Farbe, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Einen über frühes nonfiction-Kino. Zu diesen Workshops sind auch kleine Broschüren publiziert worden. Der letzte Workshop handelte über »Film als Programm«. Das war vor 2, 3 Jahren. Es ist ein sehr außergewöhnliches Archiv, weil sie ein Bewusstsein für die Problematik des Archivierens haben, sie sind sehr selbstzweiflerisch.
Ansonsten arbeite ich immer mit dem Filmarchiv Austria und dem Österreichischen Filmmuseum. Beide Institutionen haben aber nicht die Möglichkeiten, die Amsterdam hat. Das Österreichische Filmmuseum hat zwei Schneidetische und die brauchen sie selber für die Umspulungen für die Abendveranstaltungen und für die Restaurierungen. Daher kann ich da nicht drei Wochen lang sichten. Und auch das Filmarchiv Austria ist mit Arbeit eingedeckt. Das ist halt alles viel kleiner. Das Niederländische Filmmuseum hat 120 Angestellte, das ist eine andere Dimension.
Arbeit mit Bildern, Arbeit mit Tönen
Welche künstlerischen Strategien setzen Sie bei Ihrer Arbeit mit gefundenem Material an? Wichtig scheint uns in Ihren Filmen der Aspekt der Dauer. Stark hervorgehoben wird die Eigenzeit des Dokuments, das im Archiv gefunden wird. Das unterscheidet ihre Arbeiten von anderen Found Footage Filmen, beispielsweise denen von Martin Arnold und Peter Tscherkassky, die in ihrer Forschung mit anderen Zeitmodellen arbeiten.
Martin Arnold wie auch Peter Tscherkassky arbeiten stärker zerlegend, sezierend. Sie sind auch aufdeckend und analytisch, vor allem Martin Arnold deckt mit seinen Arbeiten sehr viel auf. Aber er achtet in dem Sinne das Material nicht so wie ich. Ich mache eigentlich nichts außer Zeitmanipulation, Spiegelung, Vorwärts/Rückwärts. Ich habe bei allen bisherigen Filmen sogar immer die Farben beibehalten. Jetzt, beim neuen Film, verändere ich. Da färbe ich alles durchgehend um oder ein.
Die einzige Ebene, auf der es umgekehrt ist, ist die Tonebene… Martin Arnold beispielsweise behält die Tonspur bei, manipuliert sie aber.
Auch nicht bei seinem ersten Film, Pièce Touchée. Der hat ja ein eigens hinzugefügtes Maschinengeräusch. Aber bei seinen anderen Filmen ist es der Originalton.
Was sind Ihre Überlegungen bei der Tongestaltung?
Das ist ein sehr langer Prozess mit Musikern, die in verschiedenen Konstellationen fast immer die gleichen sind. Bei Film ist. 1-6 habe ich den Ton alleine gemacht. Da war keine Musik, es waren nur Geräusche, Atmosphären, Tonbank, die BBC-Tonbank und die ORF-Tonbank. Dort habe ich mit einem Tontechniker gemischt. Bei Film ist. 7-12 gab es dann schon die Musiker, die jetzt auch bei Welt Spiegel Kino und bei Film ist. A Girl and a Gun dabei sind. Der Ausgangspunkt war eigentlich immer, dass ich eine zeitgenössische Musikebene haben wollte, nicht etwas, was reminiszent ist oder romantisierend. Ich habe das am Anfang mit einem Musikkurator besprochen, einem Freund von mir, der Konzerte organisiert und der die Szene in Wien sehr gut gekannt hat. Da haben wir ein paar Tage lang Musik angehört. So sind wir auf diese vier Musiker gekomme, Christian Fennesz, Martin Siewert, Werner Dafeldecker und Burkhard Stangl. Ich habe ihnen vorgeschlagen, so wie ich zu arbeiten, also einen Ton parallel zu meiner Bildbank anzulegen. Die Vorgabe war also nicht, dass sie zu bestimmten Szenen Musik machen, sondern dass sie musikalische Themen zu den Themen der Bildbank entwickeln. Wenn diese Themen entwickelt waren, sollten sie sie einbringen zu einem Pool und parallel zur Bildbank eine Tonbank entwickeln, aus der ich mich dann bediene. Während ich schneide, lege ich den Ton schon an, loope ihn, überlagere ihn, kompiliere ihn. Wir schauen und hören uns das gemeinsam an und diskutieren darüber. Wir besprechen, was gut und was nicht gut ist und was austauschbar. Sie machen dann was Neues. Und dann haben wir es aufgeteilt. Jeder hat ein Kapitel bekommen und mit dem Material eine Mischung gemacht. Sie haben sich also auch mit den Materialien der anderen auseinander gesetzt und damit gearbeitet. In vielen Teilen der Musikwelt ist es eh üblich, gegenseitig Musikstücke zu samplen und zu überarbeiten. Das ist natürlich nur mit Musikern möglich, die sowas oft machen. Jeder war also für ein Kapitel zuständig. Die komplette Mischung musste dann wieder einer alleine machen.
Hat die Musik eine ergänzende Funktion? Sie benutzen in Ihren Filmen ja keine erläuternden Zwischentitel.
Bisher habe ich keine Zischentitel verwendet. Bei dem neuen Film, Film ist. A Girl and a Gun mache ich das. Ich wollte eigentlich nichts vorgeben. Ich wollte nur sagen, dass es um »Erinnerung und Dokument« geht. Es ist ein brechtsches Lehrstück. Man kann etwas hineininterpretieren, etwas hineingeben. Jeder, der dazu etwas sagt, gibt ihm eine andere Richtung. Darum ist es auch immer schwer für mich zu sehen, wer was damit macht. Wenn jemand für eine Vorführung drei von den zwölf Kapiteln aus Film ist. zusammenstellt, hat er ja einen bestimmten Grund für seine Auswahl. Dann frage ich, welches Programm er zusammenstellen will. Wenn jemand zum Beispiel etwas zum Thema der Geschichte der Eisenbahnreise macht und er aus meinem Kapitel »Eroberung« nur die Zugszenen haben will und das passt in sein Programm, dann schicke ich eine DVD und sie können das zeigen. Man muss mir sagen, um was es geht, und wenn es passt, dann mach ich es.
Welche Bedeutung hat für sie die Form des Loops, der Endlosschleife?
Die Schleife hat zwei wesentliche Aspekte. Der eine ist Reduktion und der andere Expansion. Die Schleife limitiert und treibt das gleichzeitig in die Unendlichkeit. Das sind Praktiken, die in fast allen Religionen angewandt werden. Ein Mantra ist dasselbe wie ein Rosenkranz. Man hat bestimmte wiederholte Texte, die selektiert werden und limitiert; bei einem Mantra sind das ganz bestimmte Buchstaben oder Tonfolgen, die immer wieder repetiert werden. Das bringt einen in andere Bewusstseinsebenen. Die Filmschleife ist dazu auch in der Lage.
Bei der Filmschleife sieht man etwas oft. Wenn man es mit dem Hirn sieht, dann kann man etwas lernen; Roland Barthes nennt das im Bezug auf die Fotografie »das Studium«. Wenn man es nicht mit dem Hirn sieht, sondern mit der Zeit und mit dem Körper, dann passiert etwas anderes. Die meisten Autofahrer auf der Autobahn sind in Trance. Sie sind nicht bei sich aufgrund der Bewegung und dessen, was auf sie zuflutet. Trotzdem sind sie in der Lage, schnell zu reagieren, klar zu denken und zu handeln. Das passiert jedem Autobahnfahrer. Ich denke, dass auch eine Kinoschleife so etwas ermöglichen kann. Bei den letzten beiden Endlosschleifenprojektionen im Kino haben wir sie solange gespielt, bis drei Personen »Halt!« riefen. Das war eine spannende Aufgabe, denn der letzte der Drei war sich klar, dass er die Vorführung stoppt. Er hat eine Entscheidung für alle getroffen. Es sind Anordnungen, die mich faszinieren. Was ist der Grund dafür, weshalb ich mir das jetzt nicht mehr anschauen möchte? Langeweile? Habe ich alles gesehen?
Braucht's für die Endlosschleife, etwas so intensiv und lange zu sehen, dass dieser andere Bewusstseinszustand sich einstellt, braucht es dafür das Kino?
Das Kino braucht es nicht. Ich kann mir das daheim sogar besser vorstellen. Das Kino ist dafür eher hinderlich, weil die Herstellung kollektiver Tranceerlebnisse nochmal schwieriger ist. Aber das sind ja keine neuen Techniken. Die Flickerfilme beispielsweise waren ja dezidiert für solche Sachen gemacht. Oder die Filme von Andy Warhol.
Anonyme Filme
Die Filme, mit denen Sie sich in ihren Filmen beschäftigen, sind in der Tendenz eher anonyme Filme. Könnten Sie sich auch vorstellen, einen Film über einen Film zu machen, der schon kanonisiert ist und einen anerkannten Autor mit einem Status in der Filmgeschichte hat?
Ich scheue mich davor, einen Film, den ich für ein Werk halte, umzuschneiden. Bis auf Welt Spiegel Kino in dem ich Siegfried von Fritz Lang bewusst als Zitat vorkommen lasse. Das einzige, was ich mir erlaubt habe, war, den Konnex herzustellen zu dem Ort, an dem er gezeigt wurde.
Viele der Filme, die wir im Rahmen unserer Arbeit zum filmvermittelnden Film betrachten, sind aus einem klassisch-cinephilen Impuls entstanden. Man hat ein Werk, das man verstehen will, eine Analysemethode, die man anwenden will, Autoren oder Epochen, deren Stil man herausarbeiten will. Das sind eher konventionelle Werk- und Autoren- und Stilbegriffe. Bei ihnen scheint uns der Impuls stärker aus einer Praxis des Filmeguckens zu kommen. Die Orte und Kontexte des Filmeguckens werden in ihren Filmen rekontextualisiert und assoziiert, nicht dekontextualisiert.
Ja, mein hauptsächliches Interesse besteht darin, den Bildern neue Bedeutungszusammenhänge zu geben. Das geschieht dadurch, dass ich zwei Bilder kombiniere, die so nicht füreinander vorgesehen waren. Oder dass ich versuche, etwas herauszuholen, was eigentlich Nebenschauplatz war, zum Beispiel indem ich es durch die Musik, durch den Ton, andeute. Ich brauche gateways, Tore, die mich aus der Geschichte hinausführen. Das sind Türen, Telefone, Autos, alles was mich in einen filmischen zeitlichen Raum bringt. Bei der Sichtung der wissenschaftlichen Filme zum Beispiel habe ich immer den Ton abgedreht, weil ich den Zusammenhang gar nicht wissen wollte. Diesen Effekt, etwas sofort in einem bestimmten Zusammenhang zu verorten, gibt es ja auch bei der Verwendung von Filmen, die sehr bekannt sind. Sobald man weiß, um was es geht, sieht man nichts.
Filmografie
- Gustav Deutsch: Adria - Urlaubsfilme 1954-68. (Die Schule des Sehens I), (AT 1990)
- Gustav Deutsch: Film ist. 1-6, (AT 1998)
- Gustav Deutsch: Film ist. 7-12, (AT 2002)
- Gustav Deutsch: Tatort Migration 1-10, (AT 2005)
- Gustav Deutsch: Welt Spiegel Kino. Episode 1-3, (AT 2005)