Filmvermittlung und Filmrestaurierung
Der Mann mit dem Schneidetisch
Peter Kubelka über die Rekonstruktion von Dziga Vertovs »Entuziazm«
Dass Restoring Entuziazm eigentlich der falsche Titel für den Film sei, stellt Peter Kubelka gleich zu Beginn klar. »In fact, this is not a restoration, it is nothing else than a re-synchronization.« Es ging, so präzisiert er, bei der Umarbeitung des Films vor gut 30 Jahren überhaupt nicht um das Filmbild: »We did not do anything to the image, no image was cut away, it was only an attempt to find the original synchronism between image and sound.«
Diese Besonderheit des film- und restaurierungshistorischen »Falls« Entuziazm bringt Kubelka dazu, sehr grundsätzlich über das Medium Film zu sprechen und dessen elementare Funktionsweise zu erläutern. Er tut das, gemeinsam mit Elisabeth Schlemmer, die diskret im Hintergrund steht und gelegentlich mit fachkundigen technischen Handgriffen assistiert, vor Regalen mit Filmrollen an einem wuchtigen Prevost-Schneidtisch. Es ist derselbe Schneidetisch, an dem die beiden Anfang der 70er Jahre im »Österreichischen Filmmuseum« die Synchronisierung durchgeführt haben, zu deren DVD-Release nun diese Erläuterungen als Bonus beigegeben sind.
Film ist ein Kompositmedium: Es gibt Filmrollen für das Bild, es gibt Tonbänder für den Ton. Beides verdankt sich unterschiedlichen Aufnahmeapparaten, beides wird erst für die Projektion im Kino zusammengesetzt. Beides wird am Schneidetisch an unterschiedlichen Stellen, etwas 20 Bildkader voneinander entfernt, abgetastet. Jeder Film, jeder Moment in einem Film ist also etwas, das man mit Kubelka »Image Sound Event« nennen kann: nichts Natürliches, sondern das Ergebnis zweier separater Wahrnehmungsprozesse, die im Kino synthetisiert werden. Das Kino, so Kubelkas anthropologische Medientheorie, entspricht in dieser Hinsicht exakt dem menschlichen Hirn, in das die akustischen und visuellen Informationen auf getrennten Kanälen hineinströmen, um dann in einem komplexen Verarbeitungsprozess zusammengefügt und synchronisiert zu werden.
Entuziazm, der dem Österreichischen Filmmuseum vom Gosfilmofonds als Kopie geschenkt worden war, ist für Kubelka ein besonders schlagendes Beispiel dafür. Vertovs erster Tonfilm ist – etliche Jahre vor John Cage, wie Kubelka hinzufügt – nichts anderes als eine permanente Feier solcher Bild-Ton Ereignisse. Es komme daher alles darauf an, dass die Abstimmung zwischen Ton- und Bildspur korrekt ist. In der genannten Kopie war genau dies nicht der Fall, wie er sogleich zeigt: Zwei Güterwaggons koppeln zusammen, aber der Klang bleibt aus bzw. erfolgt um etliche Bildkader zu spät. Eine politische Parole wird skandiert, aber die Phrasierung durch einen fallenden Hammer fehlt.
Dass mit dieser Kopie etwas nicht stimmen konnte, ließ Kubelka von seinem Körper diagnostizieren: Als er den Film zum ersten Mal gesehen habe, sei er in der zweiten Hälfte des Films eingeschlafen. Die einzig mögliche Schlussfolgerung: »It’s impossible.« Vertov kann nichts gemacht haben, bei dem ich einschlafe. Wenn sich bei der Projektion die Energie des Films verlor, musste das mit der mangelnden Synchronität von Klang und Bild zu tun haben.
Die Rekonstruktionsarbeit betraf folglich ausschließlich diesen Prozess der Re-Synchronisierung. Erneute Trennung von Bild und Ton, Suche nach Punkten, an denen sich beides synchronisieren ließ, zeitliches Anpassen der Tonspur. Kubelka verdeutlicht das an einigen markanten Beispielen, die man zunächst, begleitet von enthusiastischer Gestik, am Schneidetisch sieht, bevor sie als Vorher-Nacher-Sequenzen bildschirmfüllend gezeigt werden.
Erzählung, Erläuterung, Erörterung. Kubelkas Kinolektion erfolgt – was könnte im Falle Vertovs passender sein – am Schneidetisch. »The whole process of film-making is laid open here.« Der Zuschauer hat es mit mehreren Formen von ENTUZIAZM zu tun: Mit dem Enthusiasmus der russischen Arbeiter, den Vertov – seinerseits Enthusiast – feiert und dessen Größe Kubelka in der Rekonstruktion enthusiastisch sicht- und hörbar machen will. Restoring Entuziazm ist dreierlei: Ein Film über die Ethik und Geschichte des Österreichischen Filmmuseums, in dem die Vertov-Sammlung seit etlichen Jahrzehnten einen Schwerpunkt darstellt. Ein Film über den Experimentalfilmer und Filmlehrer Kubelka und seinen Zugriff auf die Filmgeschichte. Ein Film über Dziga Vertov und die Bild- und Tonkunst namens »Film«.