Filmvermittlung und Filmrestaurierung
Fehlstellen markieren
Katja Kynast Connie Betz, Sie haben als Dozentin an der FHTW (jetzt HTW) Berlin Studierenden der Filmrestaurierung Filmgeschichte und Filmtheorie vermittelt. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig? Was möchten Sie Personen, die zukünftig Filme konservieren und restaurieren mitgeben? Mit welchen filmischen Mitteln tun Sie das?
Connie Betz Als Dozentin versucht man immer, die Studierenden darauf aufmerksam zu machen, dass sie nicht nur viele Filme kennen, sondern dass sie diese wegen der visuellen Erfahrung auch im Kino anschauen. Außerdem kann man gut die verschiedenen Herangehensweisen an Restaurierung vermitteln, um sie für Fragen der Filmrestaurierung zu sensibilisieren. Wenn wir es zum Beispiel mit der sogenannten «Dekomposition» zu tun haben, also damit, dass ein Bild anfängt, sich chemisch zu zersetzen und ganz neue Formen bildet, dann kann das ja einen ästhetischen Wert haben und ich kann es so lassen, wie es überliefert ist. Auf der DVD Exotisches Europa finden sich beispielsweise in der Dokumentation des Nederlands Filmmuseum Our Inflammable Film Heritage Filmbilder, die diese veränderte Ästhetik zeigen und sich (hoffentlich) auch dem Betrachter vermitteln.
Ein Restaurator kann aber auch entscheiden, das den Zuschauern nicht zuzumuten. In diesem Fall würde man auf das letzte komplett überlieferte Bild gehen und den Rest dazwischen rausschneiden. Oder ich könnte heutzutage mit der digitalen Bearbeitung auch versuchen, die Frames zu ersetzen. Ein weitere Herangehensweise ist für die kritische Studienfassung von Metropolis entwickelt worden, die Fehlstellen mit Graublenden kennzeichnet. Wie man Fehlstellen sichtbar macht, ist etwas, worüber man sich als Restauratorin bewusst sein sollte.
KK Unter welchen Bedingungen kann so ein restaurierter Film selbst zum filmrestaurierungsvermittelnden Film werden? Sie haben die Studienfassung von Metropolis angesprochen, in der die Lacunae, die Fehlstellen, als Distanz zwischen Original und Restaurierung mit Graublenden sichtbar gemacht wurden. Auch Filme, die «Zersetzungsbilder» enthalten, vermitteln die Beschaffenheit des Filmmaterials. Mir fallen dazu aber auch die farbigen Aktualitätenfilme ein, die Sie für Exotisches Europa zusammengestellt haben. Diese ethnographischen Filme vermitteln z.B. nicht nur die Käseproduktion in Holland, sondern auf implizite und elegante Weise auch etwas von der Filmproduktion, hier vor allem von der Technik der Kolorierung und Einfärbung (Virage und Tonung) und werfen so zugleich Fragen nach der Konservierung und Überlieferung der Farbtechniken auf.
CB Der letzte Teil des Projekts, das Sie ansprechen, war eine Ausstellung im Museum europäischer Kulturen in Dahlem, wo wir restaurierte Projektoren und Kameras ausgestellt haben und auch die Filme, leider nur auf DVD, gezeigt haben. Und viele Besucher haben uns damals vorgeworfen, dass wir die Filme eingefärbt hätten, schließlich seien sie schwarz/weiß gewesen. Ich fand es ziemlich bemerkenswert, dass offenbar überhaupt nicht bekannt ist, dass der frühe Film mehrheitlich farbig und nicht schwarz-weiß war.
KK Die Filme waren schwarz/weiß und die Menschen sind ganz schnell und zackig gelaufen.
CB Ja, das hat dann mit der Vermittlung durch das Fernsehen zu tun. Dass die Farbigkeit nicht überliefert ist, hat wiederum auch mit der früheren Praxis vieler Filmarchive zu tun. Sie haben nicht immer das Originalmaterial aufbewahrt und haben sich oft nicht um die Farben gekümmert.
KK Eine Problematik, die wiederum an die Frage des Originals anknüpft. Abgesehen davon, dass es im frühen Film oft mehrere Kameranegative gab, reicht es im Fall von getönten, viragierten oder schablonenkolorierten Filmen nicht aus, das Kameranegativ zu besitzen. Ebenso wichtig ist die farbige Vorführkopie oder sind andere Quellen.
CB Hinzu kommt, dass es verschiedene Farbfassungen gab oder schwarz-weiße und farbige Fassungen parallel existierten. Die Murnau-Stiftung hat ein in der Beziehung interessantes Restaurierungsprojekt, nämlich Fritz Langs Die Nibelungen. Hier sind alle Kopien, die man gefunden hat, orange viragiert. Dem stehen Aussagen von Fritz Lang gegenüber, dass er viragierte Filme eigentlich nicht mochte. Die Murnau-Stiftung hat sich jetzt dafür entschieden, es so zu machen, wie es mehrheitlich überliefert wurde, und das Publikum hat den Film vermutlich orange gesehen. Auf einer DVD kann man im besten Fall beides zeigen, aber für Kinokopien braucht man deutlich mehr Geld, um mehrere Varianten herzustellen. Und sehr wichtig ist dabei auch, wie die Farbe dann auf der Leinwand wirkt, wie lichtstark der Projektor ist und wie die Leinwand beschaffen ist.
KK Das heutige Projektorlicht ist doch eher kälter.
CB Ja, und vor allem projizierte Nitrokopien haben ein ganz warmes und wie ich finde ganz tolles Licht.
KK Wie vermitteln Sie diese Seherfahrung?
CB Da kann man nur hoffen, dass man irgendwann im Leben mal das Glück hat Nitrofilm auf einer Leinwand zu sehen. Für die DVD Exotisches Europa sind sowohl Cellulosenitratfilme als auch Filme auf Sicherheitsfilmmaterial abgetastet. Die Differenz ist wahrnehmbar, auch auf der DVD.
KK Besteht bei der Digitalisierung auch die Gefahr, dass über das Ziel hinaus geschossen wird, beziehungsweise dass die Zielsetzung unklar ist? Berlin Alexanderplatz, der in der «Digitally Remastered» Version sehr aufgehellt wurde, ist hierfür vielleicht ein Beispiel.
CB Die Lichtbestimmung eines Films zu verändern, ist schon ein sehr weitgehender Eingriff. Mit Studierenden habe ich das Beispiel auch so diskutiert, dass er eigentlich zu weit geht und mit einer Ethik, bei der Restaurierung möglichst nahe am überlieferten Material zu bleiben, nicht zu vereinbaren ist.
Nach Möglichkeit wird, wenn ein Studio oder ein Archiv einen Film restauriert, Kontakt mit den noch lebenden Beteiligten aufgenommen und es gibt eine Tendenz bei ehemaligen Beteiligten, den Film verbessern zu wollen … Nach digitaler Bearbeitung, sieht der Film unter Umständen besser aus als ursprünglich, auch hier gilt für den Restaurator, sich für die Authentizität des überlieferten Materials einzusetzen
KK Meine Beobachtung ist, dass filmrestaurierungsvermittelnde Filme das Dispositiv Kino, seine politischen, ökonomischen und apparativen Voraussetzungen in den Blick nimmt. In Ihrem Restaurierungs- und Vermittlungsprojekt "Exotisches Europa" haben Sie in Kooperation mit dem Studiengang Restaurierung von technischem Kulturgut, also in diesem Fall der Restaurierung von Aufnahme- und Projektionstechnik, gearbeitet. Sie haben so die Filme in den Kontext ihrer historischen Produktions- und Projektionsbedingungen gestellt. Was wollten Sie damit vermitteln?
CB Viele denken beim frühen Film an Studioaufnahmen, an schwerfällige Kameras und die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten beim frühen Tonfilm. Was oft vergessen wird ist, dass die Kameras zur Stummfilmzeit sehr klein, sehr handlich und sehr beweglich waren und dass nichtfiktionale Filme den Hauptteil der Produktion ausmachten. Wenn man dann in einer Ausstellung sieht, wie klein so ein Magazin einer Stummfilmkamera ist, dann vermittelt sich die damalige Produktionsweise sehr gut.
Ebenso wollten wir das Handkurbeln bei Filmaufnahme und -projektion zeigen, was ja auch bei der Restaurierung eine große Herausforderung ist. Kameramänner haben während der Aufnahme die Geschwindigkeit angepasst, dies ist auch im Restaurierungsprozess und später bei der Vorführung zu berücksichtigen. Bei der Restaurierung von Panzerkreuzer Potemkin wurde lange beraten, ob der Film mit 18, 19 oder 20 Bildern pro Sekunde gezeigt werden soll. Dabei wurde auch auf die Originalmusik von Edmund Meissel zurückgegriffen, um den Rhythmus zu finden. Empfohlen wird jetzt den Film mit 18 Bildern pro Sekunde vorzuführen.
KK Was sind für Sie wichtige Aspekte in der Vermittlung der Restaurierungsarbeit?
CB Transparenz und Dokumentation sind sehr wichtig. Beispielsweise am Anfang eine Schrifttafel oder einen Zwischentitel mit Informationen zur Fassung und den verwendeten Filmmaterialien einzufügen und wer den Film bearbeitet hat. Das kann je nach Temperament spielerischer oder trockener ausfallen. Dann gibt es verschiedene Bearbeitungen von Filmmaterial, wie sie etwa Rick Schmidlin für Greed von Stroheim oder Jay Leyda für Que viva mexico von Eisenstein gemacht haben. Diese Art von Restaurierung ist eher eine Interpretation oder Annäherung an das ursprüngliche Werk und sollte dies auch durch die Benennung deutlich machen. Die Potemkin-Bearbeitung heißt so beispielsweise «Berliner Fassung». Jay Leydas Film wird als «Leyda-Fassung» oder «Studienfassung» bezeichnet. Es gibt aber auch Autoren, die den Eindruck zwischen «Originalfassung» und Studienfassung oder einer populären Fassung verwischen.
KK Dass man eine Fassung als solche kennzeichnet ist eine Sache, eine andere ist die Tatsache, dass eine Bearbeitung dann praktisch doch für nicht absehbare Zeit die endgültige Fassung ist, weil es die Ressourcen so schnell nicht mehr gibt die Restaurierung zu wiederholen.
[*] | Josef von Sternberg. The Case of Lena Smith. Herausgegeben von Alexander Horwath und Michael Omasta. Wien 2007 Autorin in diesem Buch ist unter anderen Janet Bergstrom, von der es auch einen sehr schönen Filmessay gibt, der eine Rekonstruktion des verlorenen Four Devils von Murnau ist und in der sie zugleich auf sehr kluge Weise eine Autonomie ihrer Erzählerinnenposition aufbaut. So ist der Film gewissenhafte Quellenschau und künstlerische Bildergeschichte zugleich. |
CB Meist werden nur für Meisterwerke wie Metropolis und Panzerkreuzer Potemkin, die zum Kanon der Filmgeschichte zählen, in absehbarer Zeit Gelder für eine erneute Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Ein gutes Beispiel für dem Umgang mit einem filmischen Fragment und einem bescheideneren Budget finde ich das Buch Josef von Sternberg. The Case of Lena Smith [*] des Österreichischen Filmmuseums. Hier sind vielfältige Materialien, die es zu dem Film, von dem nur ein Fragment erhalten ist, verwendet worden. Fotos, Set-Zeichnungen, Zwischentitel der deutschen und österreichischen Fassung, eine japanische Bearbeitung, Dokumente aus dem Produktionsprozess etc. Daran kann man schon erkennen, dass selbst, wenn der verlorene Film ganz oder teilweise gefunden würde, eine Fülle von Materialien auf den Restaurator warten und sich zahlreiche Fragen nach Fassung, Rekonstruktion der Zwischentitel etc. stellen. Man kann sich mit Hilfe dieses Buchs also in die Materialien vertiefen und zugleich gibt es Aufsätze, die versuchen, die Stimmung des Films aufzugreifen. Beim Lesen entstehen dann plötzlich Bilder im Kopf, die eine andere Art von Bildern sind, als wenn jemand filmisch Foto an Foto, Drehbuchauszug an Drehbuchauszug reiht und dann wieder grau dazwischen lässt. Gerade bei einem Film, von dem nur 4 Minuten überliefert sind, ist so ein Buch eine schöne Möglichkeit.
Connie Betz (Berlin) ist seit 2003 Mitarbeiterin der Deutschen Kinemathek für die Programmkoordination der Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Sie hat als Lehrbeauftragte für Filmgeschichte an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin (FHTW) im Studienschwerpunkt Restaurierung Foto/Film/Datenträger unterrichtet (1998 – 2003 sowie 2007) und war dort von 1999 – 2001 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im EU Projekt Exotisches Europa – Reisen ins frühe Kino tätig. Connie Betz ist Filmwissenschaftlerin mit einer Weiterbildung in Filmkonservierung/-restaurierung und Filmarchivarbeit.