Filmvermittlung und Filmpädagogik
»Peau d’âne« (»Eselshaut«) – ein Film von Jacques Demy (F 1970)
Dialog aus Alain Bergalas »Le cinéma, une histoire de plans«
Gesprochen von Fanny Ardant und Michel Piccoli
Fanny Ardant Das sieht aus wie ein Geisterschiff. Als löse es sich in der Landschaft auf.
Michel Piccoli Es ist das Ende einer Träumerei. Der Traum hat eine bestimmte Form angenommen und dann verschwindet diese Form.
Fanny Ardant Erinnerst du dich, in welchem Moment des Films die Szene spielt?
Michel Piccoli Natürlich, ich kenne den Film in- und auswendig. Der Prinz hat Peau d’Âne (Eselshaut) in ihrer Hütte im Wald gesehen und sich unsterblich in sie verliebt. Er hat gerade den Liebeskuchen gegessen, den sie extra für ihn gebacken hat. Dabei hat er den Ring gefunden, den sie in den Kuchen eingebacken hatte und jetzt träumt er von dem Glück, das er mit ihr gemeinsam erleben könnte.
Fanny Ardant Aber findest du nicht, dass es etwas Tieftrauriges in diesem Kahn liegt? Darin, wie er sich entfernt und in der Umgebung entschwindet?
Michel Piccoli Ja, das genau macht Demy aus. Jeder Moment des Glücks ist schon von Nostalgie gezeichnet. Diese Einstellung ist schon das Ende des Traums, der Punkt, an dem man in die Realität zurückkehren muss. Wenn man nicht mehr verzaubert ist – „enchanté“. So hat Demy sein Kino beschrieben, allerdings in zwei Worten: „en chanté“ – wie Gesang. Die Dialoge in Peau d’Âne werden gesprochen oder gesungen, je nach Szene. Hier sind wir am Ende einer geträumten Szene, geträumt und gesungen.
Fanny Ardant Schau mal. In einen Moment sind nur noch die Flammen der Fackeln vor dem trüben Hintergrund der Landschaft zu sehen, wie Irrlichter. Sie verschwinden wie tote Seelen. Es stimmt ja auch, dass sie nicht wirklich existieren, das ganze spielt sich ja nur in der Traumwelt des Prinzen ab. Es sind zwei Doubles in diesem Kahn, Phantome.
Michel Piccoli Mich erinnert das an diese Mythen, wo die Seelen mit einem Boot über ein Gewässer übersetzen müssen, um ihre Ruhe zu finden.
Fanny Ardant Ich glaube, dieser Eindruck hängt mit der Ausstattung zusammen. Und mit dem Licht. Dieser Tunnel aus düsterem Grün. In einem Moment ist hinter ihnen nur noch schwarz im Bild. Das ist auf der einen Seite ein schöner Nachmittag im Sonnenschein und die Nacht. Es war sicher schwierig, eine solche Einstellung hinzukriegen.
Michel Piccoli Ich sehe da nichts Kompliziertes. Dafür braucht man doch keinerlei aufwändige Tricks...
Fanny Ardant Ja eben. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Bis auf den Schluss der Einstellung mußte alles während des Drehs vor der Kamera klappen.
Michel Piccoli Was heißt denn „alles“?
Fanny Ardant Die Vorwärtsbewegung des Kahns. Die Bewegung der Kamera. Das Playback der Musik.
Michel Piccoli Wieso der Kahn? Der treibt doch einfach den Fluss hinab.
Fanny Adant: Am Ende der Einstellung, schau mal. Da sieht man doch, dass er nicht von allein im Fluß des Wassers treibt. Außerdem ist da fast keine Strömung. Da sieht man doch deutlich, dass er technisch gezogen wird. In jedem Fall brauchten sie einen Motor, um diesen Märchen-Kahn vorwärts zu bewegen. Aber das hat Demy überhaupt nicht gestört. Bei ihm gehen das Fabelhafte und das Realistische immer Hand in Hand.
Michel Piccoli Erinnerst du dich an den Schluss des Films? Er hat sogar die Fee in einem ultramodernen Helikopter wegfliegen lassen.
Fanny Ardant Ja, das ist sehr komisch. Großartig. Selbst die Fee braucht die Technik, um sich in die Lüfte zu schwingen.
Michel Piccoli Meinst du, das Geräusch des Motors hat sie nicht gestört in der Szene?
Fanny Ardant Natürlich wurde das stumm gedreht, wegen des Playbacks. Während der Aufnahme mußten die Schauspieler das Lied hören, ansonsten wären ihre Lippenbewegungen nicht synchron gewesen. Aber das Schwerste in dieser Einstellung wird die Abstimmung zwischen der Bewegung der Kamera und der Bewegung des Boots gewesen sein.
Michel Piccoli Das ist doch ein einfacher Schwenk, der einfach nur dem Kahn folgen musste.
Fanny Ardant Du bist ein so guter Zuschauer Demys, dass du glaubst, alles sei ganz einfach in seinem Kino. Aber diese Leichtigkeit ist eine Illusion. Dieses Gefühl, dass alles von selbst kommt. Genau darin liegt seine große Eleganz. Warte, wir gehen mal zum Anfang der Einstellung zurück. Schau mal: zunächst ist es tatsächlich ein einfacher Kameraschwenk. Wir warten, dass die Schauspieler näher kommen, damit man sie besser sieht. Aber da, wenn du dir genau die Blumen im Vordergrund anschaust, bewegt sich Kamera in einer parallelen Fahrt ungefähr in der Geschwindigkeit des Kahns mit, um die Schauspieler so lange wie möglich in der gleichen Kadrierung und der gleichen Perspektive zu halten. Man sieht an der Geschwindigkeit der vorüberziehenden Blumen, dass die Kamera auf den Schienen sich genauso schnell fortbewegt wie der Kahn auf dem Wasser. Da sich die beiden Bewegungen aufheben, hat man das Gefühl, dass sich gar nichts bewegt. Die Kamerafahrt wird dadurch fast unsichtbar. Aber dann erreicht die Kamera das Ende der Schienen und beginnt den Schwenk, um die Endeinstellung zu kadrieren, die ganz fix sein wird, für die Trickaufnahme.
Michel Piccoli Das Verschwinden…
Fanny Ardant Das ist eine ganz simple Trickaufnahme im Stil Meliès’. Demy mochte nur solche Trickaufnahmen. Sehr primitiv. Zuerst haben sie den Kahn gefilmt, wie er sich entfernt. Dann haben sie ihn aus dem Bildfeld entfernt und, ohne die Kamera auch nur einen Millimeter zu bewegen, eine weitere Einstellung der leeren Landschaft gedreht. Dann haben sie im Labor eine Abblende der eine Einstellung mit Kahn und eine Aufblende der Einstellung ohne Kahn miteinander kombiniert.
Michel Piccoli Es stimmt: man sieht, dass sich das Licht verändert, das auf die Landschaft fällt.
Fanny Ardant Ja, weil zwischen der Aufnahme mit den Schauspielern und der leeren Aufnahme etwas Zeit liegt, um das Boot zu entfernen. Da hat sich der Stand der Sonne geändert. Das sieht man gut an dem Gebüsch neben den Blumen. Es ist düster in dem Moment des Verschwindens. Und dann ist es hell erleuchtet, als das Boot weg ist.
Michel Piccoli À apropos Licht. Kannst du noch mal zurückgehen? Schau mal, die Schattenspiele der Blätter auf dem Kleid von Peau d’Âne.
Fanny Ardant Ja, das erinnert an ein Gemälde von Renoir: „Die Schaukel“.
Michel Piccoli Nein, ich meinte im Märchen. Das bunte Kleid, dass Peau d’Âne zu Beginn von ihrem Vater bekommt. Da ist es genauso. Die Wolken wandern auf diesem Kleid. Aber das war eine Trickeinstellung. Wolken waren auf das Kleid projiziert. Hier ist das ganz und gar realistisch. Das sind richtige Schatten. Aber der Zuschauer erinnert sich an das prachtvolle Kleid. Im Grunde genommen ist es das für Demy, das Wunderbare. Poesie erschaffen mit ganz einfachen Flecken auf einem Kleid.