Filmvermittlung auf DVD

Bonus-Filme machen

Gespräch mit Nicolas Ripoche von »Allerton Films«

Die Firma Allerton stellt die meisten Bonus-Materialien für die Carlotta-Editionen her. Auf der französischen Website www.ecranlarge.com gibt es dazu folgende Einzelheiten: [1]

[1]Stand: 09.05.2008 (Übersetzung: »Kunst der Vermittlung«)

Allerton ist eine Firma, die auf die Produktion von DVD-Zusatzmaterialien spezialisiert ist und regelmäßig mit Carlotta zusammenarbeitet. Wir werden in einem komfortablen, nach dem letzten Stand der technischen Entwicklung eingerichteten Sichtungsraum empfangen (dort wird gerade ein Vergleich der Dolby-Tonspur des Films DOUBLE INDEMNITY mit seiner DTS Mono-Tonspur durchgeführt) und wohnen der Vorführung von LA DERNIERE CIGARETTE bei, einer exklusiven Dokumentation zu diesem Film, der das ohnehin schon pralle Bonus-Paket auf der amerikanischen Universal-DVD-Ausgabe komplettieren wird. Eine schöne Überraschung: Schon lange nicht mehr haben wir DVD-Verschlinger ein Bonusmaterial gesehen, bei dem analytische Intelligenz und formale Meisterschaft so dermaßen ineinandergreifen. Und alles im Dienste des Films. Gelegenheit, Nicolas Ripoche, dem Regisseur dieser bestechenden Arbeit, einige Fragen zu stellen.


Erzählen Sie uns von Allerton als Firma, von Ihrem Werdegang und von Ihrem Ansatz bei der Herstellung von Bonus-Material!

Die Firma Allerton ist 2003 gegründet worden, gleich nachdem die Carlotta-Box mit den Filmen FLESH, TRASH und HEAT von Paul Morrissey in Cannes die Goldene Palme für DVD-Produktionen erhalten hatte. Dafür hatten wir insgesamt fünf Stunden Bonus-Material produziert und das hatten wir dort vorgeführt. Zu dem Zeitpunkt gab es die Firma noch nicht und nach Erhalt des Preises haben wir erstmal mit mehreren DVD-Herstellern verhandelt. Wir haben dann Allerton gegründet, um auf die große Zahl von neuen Aufträgen besser reagieren zu können. Von hier aus hat sich dann eine sehr eigene Fertigungsweise entwickelt, ausgehend von den Sachen, die wir zu den Morrissey-Filmen gemacht hatten: Bonus-Material mit Qualität, angetreten, die Filme so gut wie möglich zu verstehen, sozusagen ihr Skelett bis auf’s Mark freizulegen. Anders ausgedrückt: Erläutern, wie diese Filme es anstellen, uns zu begeistern, in Abgrenzung zur Vorgehensweise der Amerikaner. Die Faktenanhäufung vermeiden und lieber versuchen, jedes Mal einen originellen Ansatzpunkt zu finden. So haben wir zwei Jahre lang mit Warner, MK2, TF1, arte und Carlotta zu tun gehabt. Carlotta waren immer unsere Hauptkunden, schließlich haben wir von Anfang an Hand in Hand mit Vincent Paul Boncourt (dem Geschäftsführer von Carlotta; Anm. KDV) zusammengearbeitet. Bis heute haben wir ungefähr 70 DVDs hergestellt, das sind grob geschätzt 60 Stunden Programm. Dabei handelt es sich um ziemlich unterschiedliche Bonus-Materialien: Da reicht das Spektrum von der Filmanalyse bis zum klassischen Interview mit den Regisseuren oder Schauspielern, so sie noch am Leben sind, bis zu originelleren Ansätzen, wie wir es diesen Sommer für die Barbet Schroeder-Box gemacht haben.

Sie haben mit Carlotta eine besondere Arbeitsbeziehung aufgebaut. Mit Carlotta arbeiten Sie anders als Sie es beispielsweise mit Warner oder MK2 tun konnten?

Wir arbeiten nicht mehr mit MK2 und Warner zusammen. MK2 stellt jetzt alle seine Boni hausintern her, während Warner eh’ nur eine Gelegenheit war, für insgesamt vier europäische Titel. Aber es stimmt: Damals hatten wir nicht dieselbe Haltung zur DVD wie heute. Heute ähnelt unser Arbeitsansatz mit Carlotta dem von arte. Carlotta ist ein Kunde, der sehr stark auf den Inhalt achtet. Wir machen gemeinsames Brainstorming. Die schlagen sogar Leitlinien vor, bleiben aber auch offen für unsere Vorschläge. Im Gegensatz dazu hatten wir bei Warner und MK2 vollkommen freie Hand. Wir bekamen ein Budget und haben dann gemacht, was uns sinnvoll erschien. Vincent Paul Boncour dagegen hat bereits präzise Vorstellungen, bevor die eigentliche Arbeit beginnt. Er hat einen cinephilen Blick und versteht sehr schnell, wie er das kommunizieren kann. Das erlaubt uns oft, gewisse Offensichtlichkeiten zu vermeiden.

Wie läuft der kreative Prozess ab, wenn es darum geht, Bonus-Material zu erstellen, das sich einem Monument wie Billy Wilder würdig zu erweisen hat?

Zunächst einmal hat uns Vincent den Film vorgeschlagen. Dann habe ich ihn mir mehrmals wieder angeschaut, denn sonst geht man zu leicht von Selbstverständlichkeiten aus, von kristallisierten Erinnerungen, als da wären: der sakrosankte Film Noir, eines der Hauptwerke Billy Wilders, Barbara Stanwyck als Femme Fatale, das Verbrechen im Off usw. Danach habe ich mich mit Vincent besprochen, der uns darlegte, was er sich zu sehen wünscht in der zur Verfügung stehenden Zeit (in diesem Fall: 35 Minuten; Anm. KDV). Von diesem Punkt an bleibt es uns überlassen, ob wir mehrere Mini-Module oder einen einzelnen Bonus-Film herstellen. Vincent hat uns mehrere Elemente vorgegeben: die Figur der Femme Fatale, das exemplarisch Film Noir-hafte des Films. Ich fand das interessant, wollte aber lieber einige Umwege ausprobieren, um ein paar subtilere Aspekte aufzuzeigen als diese Allgemeinplätze. So lernte ich Kinga Wyrzykowska kennen, eine Absolventin der École Normale Supérieure (der französischen Eliteuniversität für Lehrer, allgemein für Geisteswissenschaften; Anm. KDV). Sie hatte zur Literatur, zum Theater und zu Techniken des Erzählens gearbeitet. Ich schlug ihr eine Zusammenarbeit vor, denn sie hatte einen Abstand zur Thematik, den alle, die wie wir buchstäblich im Kino baden – und zwar ständig –, nicht besitzen. Sie hat Dinge gesehen, die ich zwar auch empfinden konnte, denen sie aber ihre eigene Sprache verliehen hat. So haben Kingas Texte als Basis von LA DERNIÈRE CIGARETTE fungiert. Doch bevor ich sie traf, mussten wir bereits mehrere Etappen zurücklegen. Die ersten Brainstormings fanden im Juni statt, im Juli wurde das verfeinert und nach möglichen Interviewpartnern gesucht. Im August wurde gedreht und auch schon mit dem Schnitt begonnen, der dann insgesamt drei Wochen gedauert hat. Dazu kamen noch die Aufnahmen für den Off-Kommentar und letzte Änderungen am Text… Es gab also unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten. Vincent stellte sich ein Modul vor, indem es um den Einfluss des Films auf andere Filmemacher zu gehen hätte, auf Leute wie De Palma, Lynch und so weiter, von den Coen-Brüdern ganz zu schweigen. Außerdem wollte Vincent ein Modul, das wir VARIATION SUR LA FIN nannten und das vom ursprünglichen Filmende handelte, das Wilder auch gedreht hat, das er aber nicht durchsetzen konnte. Da haben Kinga und ich uns Gedanken über die Gründe einer solchen Entscheidung gemacht. Diese Befragung wurde schließlich zur Basis unseres gesamten weiteren Vorgehens: Von diesem eliminierten Ende sind wir zur Hauptfigur gelangt und von der Entscheidung über die Art und Weise, wie sie zu Tode kommt, zu DER Frage schlechthin: Was ist eine Film Noir-Figur?

Aber wie einen solchen Text – das Rückgrat des Bonus-Teils dieser DVD – ins Bild setzen?

Wir sind immer wieder hin- und hergewandert. Die analytischen Passagen wurden sehr auf die jeweiligen Szenen zugeschrieben. Das erleichtert die Arbeit sehr, denn da bringen sich Bilder und Analyse fast von allein zusammen. Komplizierter wird es bei den abstrakteren Gedanken. Solange bestimmte Dinge in der Textvorlage angekündigt wurden, habe ich mich mit rein illustrativem Vorgehen begnügt. Für den Rest bin ich meiner Intuition gefolgt. Einige Bilder kamen mir wie von selbst in den Sinn und immer wenn ich dann Kinga nach möglichen Einwänden fragte, stellte sich heraus, dass sie an ähnliche Lösungen gedacht hatte. Man muss wissen, dass in der Regel die anderen Beteiligten in dieser Produktionsphase nicht mehr eingreifen. Es ist ausschließlich an uns, Bilder zu finden für Aussagen, die manchmal ein bisschen zu konzeptuell ausfallen. Im Allgemeinen ziehen wir uns da ganz gut aus der Affäre, wir kriegen meist gutes Feedback. Für Kinga war es eine große Freude, wie geschmeidig ihr Text wurde durch den Einsatz der Bilder und die Betonungen des Schauspielers, der seinerseits keinen Zugriff auf die Bilder hatte, weder auf die des Films, noch auf die des Bonus.

Die Bildinszenierung bei diesem Bonus ist außergewöhnlich, das zieht sich durch bis in die Interviews. Benutzen Sie eigentlich selbst ab und zu Storyboards?

Niemals. Was die Interviewpartner anbelangt, haben wir uns von Anfang an einen Erzähler vorgestellt, der sich auf intuitive Weise mit ähnlichen Fragen beschäftigt, wie wir das getan haben. Wir haben uns gedacht, dass es interessant wäre, sich für den Off-Kommentar einen Privatdetektiven auszudenken, der das eine oder andere Mal selber die Antwort liefern muss auf all seine Fragen. Aber weil er eben nicht auf alles eine Antwort hat, begibt er sich auf Recherchen, die ihn mit wichtigen Zeugen zusammentreffen lassen. Das war der Ausgangspunkt. Darauf aufbauend wollten wir, was die Bildaufnahmen der Interviewpartner angeht, stets den Blick der Kamera betonen. Also drehten wir ohne Stativ. Bei Marc Cerisuelo haben wir den ganzen Vordergrund unscharf gemacht, indem wir einen Gegenstand ganz nah ans Objektiv gerückt und ihn dann nur ¾-frontal aufgenommen haben. Ein seltsamer Winkel entsteht so, der wahrscheinlich die Ursache war für Cerisuelos sorgenvolle Seitenblicke während der gesamten Interviewdauer. Bei Jean-Pierre Morel filmten wir durch eine löchrige Skulptur hindurch.

Gehört »La dernière cigarette« zu Ihren Lieblingsarbeiten, trotz Ihrer Erfahrung mit der Herstellung von 60 Stunden Bonus-Material?

Ja. Ab einem bestimmten Zeitpunkt neigt man bei der Planung von Bonus-Material dazu, sich zu wiederholen: eine Filmanalyse, ein Interview usw. Im Fall von LA DERNIERE CIGARETTE haben wir das erste Mal den Off-Kommentar mit den Interviews konfrontiert. Das hat mir wirklich sehr gefallen, weil das eine originelle Art und Weise ist, den Film zu begeleiten und die Leute stärker zu interessieren. Es ist uns eine gute Mischung aus Ausdrucksstärke, spielerischem Ansatz und Faktenabsicherung durch die Interviewpartner gelungen. Wir wissen nicht so viel über das Kino wie Marc Cerisuelo (Professor für Kinogeschichte an der Universität Paris III; Anm. KDV) oder Jean-Pierre Morel (Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der École Normale Supérieure; Anm. KDV) mit seinem stärker strukturalistischen Ansatz. Was meines Erachtens auch eine Qualität dieses Bonus-Materials ausmacht, ist, dass uns einige Überraschungen passiert sind. Marc Cerisuelo hat uns in einigen unserer Vermutungen bestätigt. Auf der anderen Seite sollte sich Jean-Pierre Morel zu den Übereinstimmungen bzw. Abweichungen zwischen Film und der Romanvorlage von James M. Cain äußern. Aber Morel hat uns regelrecht verblüfft, als er uns zu einer Auslegung gedrängt hat, der wir zunächst keine große Bedeutung beimessen wollten: der Geist der Freiheit des Walter Neff und die metaphysische Dimension des Films, wenn Wilder entscheidet, seinen Helden an dessen Arbeitsplatz sterben zu lassen. In dem Moment versteht man, dass diese in der ersten Person formulierte Beichte ebenso ein Versuch der Reinwaschung war wie der Selbstvergewisserung. Kurz: Anti-Determinismus.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach sehr gutes Bonus-Material aus?

Sehr gutes Bonus-Material spricht in dem Film eingelagerte Elemente an, die unser Bewusstsein nicht begriffen hat. Das ist ein wenig wie ein Lehrer, der versucht, in uns verborgene Fähigkeiten zu wecken. Aus genau diesem Grund mag ich Filmanalysen so sehr. Ich mag es, mir eine gewisse Langsamkeit anzueignen, um in die Filme eindringen zu können. Solche Bonus-Materialien schenken einem den Eindruck, ein zweites Mal zum ersten Mal auf den Film zu treffen.

Welche Bonus-Materialien oder Making ofs haben Sie dauerhaft beeindruckt?

LOST IN LA MANCHA liebe ich sehr, der ist fast schon ein vorbildlicher Bonus zu nennen in dem Sinn, dass wir der Entstehung eines Filmes beiwohnen dürfen, der am Ende gar nicht zustande kommt. Auch HEART OF DARKNESS werde ich nie vergessen, dieses unumgängliche Making of von Eleanor Coppola von den desaströsen Dreharbeiten zu APOCALYPSE NOW. Daran schätze ich die Art und Weise, wie hier Zeitzeugen-Interviews mit Archivmaterial kombiniert werden. Auch Werner Herzogs Dokumentarfilm über seine unmöglichen Dreharbeiten mit Klaus Kinski mochte ich sehr (»Mein liebster Feind«; Anm. KDV)

Merci à Allerton et Carlotta